Wie es ist, als Nachwuchspolitiker in Bosnien um Vertrauen zu kämpfen
Bosnien-Herzegowina gilt nicht gerade als lumpenreine Demokratie: Ethnonationale Parteien haben den Staatsapparat unter sich aufgeteilt, vergeben Ämter und Arbeitsplätze im Gegenzug für Stimmen und Geld. Das Land liegt im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Rang 108 von 180. Die meisten großen Medien haben eine Parteinähe.
Ante Kelavić aus Maglaj weiß das – und trotz alldem hat er sich in die bosnische Politik gewagt. "Die dominierenden Parteien führen die Institutionen und Ministerien wie Privatunternehmen. Sie bedienen sich an öffentlichen Gelder und sorgen für sich und ihre Parteikollegen aus." Lange war er für die kroatisch-nationalistische HDZ aktiv, vor ein paar Monaten schloss er sich mit anderen jungen politisch Interessierten zu einer neuen Partei zusammen, genannt HDS. "Bei der HDZ wurden die Vorsitzenden gewählt, ohne intern über sie abzustimmen. Jetzt können wir reden und diskutieren ohne Bedenken – und wir haben Demokratie in unserer Partei."
Im Rahmen der "Speak Up! Initiative", einem Format des österreichischen Außenministeriums und des US State Departements, trafen sich vergangene Woche Nachwuchspolitiker aus Bosnien-Herzegowina in Wien, darunter Kelavić.
"Du bist Politiker? Bist du ein Krimineller?"
Die größte Herausforderung als Nachwuchspolitiker in Bosnien? "Vertrauen gewinnen. Die aktuellen Politiker halten sich durch korrupte Geschäfte an der Macht. Die Menschen fragen dich, ob du ein Krimineller bist, warum solltest du sonst in die Politik gehen?"
Und wie gewinnt man es, das Vertrauen? Durch Zeit, sagt Kelavić. Der 28-Jährige mache nicht erst seit ein paar Monaten Politik, "ich bin seit neun Jahren in der bosnischen Politik aktiv", sagt er – fast ein Drittel seines Lebens.
Wichtig sei auch der Zugang zu Medien. Doch der ist beschränkt, viele Medienunternehmen haben eine Nähe zu lokalen Politikern und eine ethnonationale Agenda. Für Nachwuchspolitiker mit einer unbekannten, neu gegründeten Partei ist Sendezeit so gut wie unmöglich. Trotzdem weiß Kelavić, dass Medienauftritte essenziell sind für Erfolg: "Die Wahlbeteiligung in Bosnien ist gering, außerdem gehen vor allem ältere Wahlberechtigte zur Wahl. Die erreichen wir nicht über die sozialen Medien."
Bosnien-Herzegowina besteht aus zwei Teilrepubliken, der bosniakisch-kroatisch dominierten Föderation von Bosnien und Herzegowina und der bosnoserbisch dominierten Republika Srpska. Auf Gesamtstaatsebene gibt es eine dreiköpfige Präsidentschaft – einen bosniakischen, einen kroatischen und einen bosnoserbischen Vertreter –, den "Ministerrat" als Regierung und ein Parlament. Die gesamtstaatlichen Institutionen besitzen im Vergleich zu den Vertretern der Entitäten jedoch nur wenige Kompetenzen. Zusätzlich gibt es das Amt des Hohen Repräsentanten (OHR), das über das Friedensabkommen von Dayton von 1995 und Stabilität wacht. Dieses Amt ist mit Sondervollmachten ausgestattet und wird von internationalen Politikern besetzt, aktuell vom CSU-Politiker Christian Schmidt.
Ethnonationale Langzeitpolitiker
Der Ethnonationalismus, der die bosnische Parteienlandschaft prägt, werde vor allem von den herrschenden Langzeitpolitikern propagiert. Selma Jahić, eine Überlebende des Genozids von Srebrenica, berichtet von ihrer Familie in Bosnien: "Meine Familie hat Freunde, die Kroaten und Serben sind. Im Zusammenleben gibt es diesen Ethnonationalismus nicht. Es sind die Politiker, die uns spalten. Warum sollte ich nicht für Kelavić stimmen – weil er Kroate ist?"
Auch die bosnische Diaspora spiele eine wichtige Rolle im Änderungsprozess: "Die Community hier lebt in einem funktionierenden politischen System, darum könnte der Austausch auch viel bringen", so Kelavić.
Jahić sprach bei "Speak Up!" für die bosnische Diaspora in Österreich. Ihr zufolge ist es nicht leicht, die Community für bosnische Politik zu begeistern: "Die Mehrheit kennt Bosnien nur als Urlaubsziel und von Familienbesuchen. Wir versuchen, den politischen Blick aufs Land zu schärfen."
Jahić betont die Zusammenarbeit zwischen Diaspora und den Menschen vor Ort – allerdings sollte sie nicht von oben herab geschehen: "Wir dürfen nicht kommen und ihnen sagen, was alles falsch läuft. Das wissen die Menschen selbst. Wir müssen mehr hinhören, unsere Unterstützung zeigen und uns untereinander vernetzen."
Große Diaspora
Rund 3,2 Millionen Menschen leben derzeit in Bosnien-Herzegowina, Schätzungen zufolge über eine Million bosnische Staatsbürger in der EU und in den USA. "Wenn wir das politische System ändern wollen, brauchen wir ihre Stimme", sagt Jahić.
Anfang Oktober finden in Bosnien-Herzegowina Lokalwahlen statt. Bei der letzten Wahl des Staatspräsidiums fuhren die etablierten ethnonationalen Großparteien, die bosniakische SDA und die kroatische HDZ, herbe Verluste ein. Ob Kelavić bei den Lokalwahlen für seine neugegründete HDS kandidiert, weiß er noch nicht. Er wolle auch jüngeren Politiker die Möglichkeit geben, das politische System mitzugestalten.
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