Dieses Interview ist der dritte Teil der KURIER-Serie “Angst vor der Zukunft?”, in der wir Expertinnen und Experten mit den brennendsten politischen Fragen für das neue Jahr konfrontieren. Alle bisherigen Serien-Teile finden Sie hier.
Studien haben in diesem Jahr gezeigt: Das Weltbild junger Männer und Frauen driftet auseinander. Zum Teil spiegelt sich das auch in der Politik wider - oder wird von ihr verstärkt. Ausgelöst durch den Sieg des für misogyne Rhetorik bekannten Donald Trumps in den USA, schwappte jüngst etwa eine heftige Welle des Frauenhasses über die sozialen Netzwerke auch nach Europa. Sogenannte „Männerrechtler“ feierten den Triumph Trumps als einen „Sieg der Männer“. Einige junge Frauen reagierten mit der radikalen Ankündigung, künftig so wenig wie möglich mit Männern zu tun haben zu wollen.
Wozu kann eine derartige Polarisierung führen? Und was können wir daraus lernen? Ein Gespräch mit der Politologin Birgit Sauer, die zur Verbindung von Politik und Geschlecht forscht und bis zu ihrer Pensionierung an der Universität Wien arbeitete.
KURIER: Untersuchungen weisen darauf hin, dass junge Frauen immer liberaler werden, junge Männer konservativer. Warum ist das so?
Birgit Sauer: Man muss das regional unterschiedlich sehen. Aber ja, das Freiheitsbegehren vieler junger Frauen wächst - und die Kluft zwischen Männern und Frauen wird größer. Gerade in asiatischen Ländern zeigt sich deutlich, dass junge und gut ausgebildete Frauen nicht mehr nur Hausfrauen sein wollen. Das liegt an den Möglichkeiten, die junge Frauen mit Bildungszugang heute haben.
Eine Studie vom - nicht sehr emanzipatorischen - American Institute for Boys and Men stellt fest: Immer weniger junge Männer promovieren, in absoluten Zahlen und auch im Verhältnis zu Frauen. In der Studie wurde es dann so dargestellt, als wären die Männer die Opfer. Dabei haben Frauen schon in der Schule bessere Noten, auch in Österreich, weil ein guter Job für sie weniger selbstverständlich ist. Klarerweise fordern sie dann auch gute Positionen. Noch ist es so, dass Männer bessere Chancen haben, diese zu bekommen. Wird es so dargestellt, als würden Frauen den Männern die Arbeit wegnehmen - und das passiert ja auch in sozialen Netzwerken -, wollen Männer an ihren Privilegien festhalten. Das hat aber auch damit zu tun, dass den Männern kaum Alternativen geboten werden.
Alternativen wozu?
Alternativen im Lebensentwurf, in der Partnerschaft, in der Vaterschaft. Dazu, dass sie zum Beispiel nicht mehr die alleinigen Familienernährer sein müssen. Man könnte ihnen ja auch sagen: „Seid froh, jetzt gibt es auch Frauen mit guten Jobs - die verdienen Geld, ihr müsst das jetzt nicht mehr alleine stemmen. Ihr könnt auch zuhause bei euren Kindern bleiben, wenn ihr das wollt.“ Das Männlichkeitsbild speist sich aber noch immer daraus, zu sagen: „Ich kann eine Familie ernähren, ich bin stark, autonom, souverän - ich brauche eigentlich niemanden.“
Heißt das, die gesellschaftlichen Erwartungen gegenüber Frauen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, die gegenüber Männern aber nicht?
Ja. Frauen haben lange für ihre Studien- und Arbeitsplätze gekämpft und viel dazugewonnen. Sie müssen heute keine Mütter mehr sein oder sie können Mütter und erwerbstätig sein - obwohl beides noch immer schwierig ist. Junge Frauen haben heute noch einmal mehr Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten, als ihre Müttergeneration es hatte. Für die jungen Männer hat sich da viel weniger getan.
Welche Folgen hat das?
Der Druck, der auf jungen Männern lastet, kann Identitätskrisen und psychische Probleme auslösen. Er kann auch zu einer Radikalisierung und Frauenhass führen.
Es ist aktuell für alle jungen Menschen - und ich glaube, für Männer besonders - schwierig, sich eine positive Zukunft auszumalen. Das betrifft auch Partnerschaften und eine eigene Familie, die sich Studien zufolge auch junge Österreicher stark wünschen. Sie zweifeln aber vermehrt daran, ob das realisierbar ist, ob man das so hinkriegt, ob man genügt - nicht zuletzt aufgrund von verhärteten und polarisierten Vorstellungen, mit denen junge Menschen einander begegnen.
Gerade rechte Parteien nehmen die Ängste junger Männer oft auf und schüren sie teilweise. Genau das kann dann manchmal zu einem eher rechten, männerzentrierten Wahlverhalten führen.
Hat das auch Einfluss darauf, wie Männer und Frauen gemeinsam arbeiten?
Der Wettbewerb ist an sich schon größer geworden, weil Jobs nicht mehr so sicher sind wie noch vor 30 Jahren. Das merken die Jungen. Bei meinen Studierenden beobachte ich zum Beispiel, dass sie keine Gruppenarbeiten mehr mögen und stark darauf getrimmt sind, besser zu sein als andere - und eben auch besser als der Mann oder die Frau neben ihnen. Es gibt weniger Solidarität und mehr Neid.
Klar ist auch: Über diesen Wettbewerb am Arbeitsplatz müssen die Geschlechterrollen ständig neu ausgehandelt werden. Es ist nicht mehr so, dass eine freigewordene Führungsposition automatisch an einen Mann geht. Dieses Aushandeln ist für Männer und Frauen verunsichernd und anstrengend. Für junge Männer, die erwartet hatten, dass sie auf jeden Fall eine gute Stelle bekommen werden, ist es aber auch mit einer größeren Angst vor Versagen verbunden. Junge Frauen haben mehr zu gewinnen.
Was erhoffen junge Männer sich in Bezug auf Frauenpolitik, wenn sie Rechtsparteien wie die FPÖ wählen?
Die FPÖ sagt, sie will Mütter und junge Familien unterstützen. Das ist ein restauratives Angebot, das sagt: „Frauen, entscheidet euch doch für die Mutterschaft“. Junge Männer reizt das - wobei ich nicht sagen würde, dass alle FPÖ-Wähler ein klassisches Familienleben wollen, in dem die Frau sich allein um die Kinder kümmert. Aber sie wollen zumindest die Möglichkeit eröffnet haben.
Und viele Rechtswähler haben den Eindruck, dass Parteien wie die FPÖ ihre Interessen als Männer vertreten. Diese Politiker sprechen Männer an, indem sie sagen: „Ihr dürft wieder Mann sein, ihr müsst euch nicht an ‚weibliche Regeln‘ anpassen.“ Gerade bei jungen Männern, die nach Orientierung suchen, funktioniert das.
Generell würde ich das nicht sagen, weil im Geschlechterverhältnis noch immer die sexuelle Attraktion dominiert. Aber klarerweise gibt es in der Adoleszenz so etwas wie eine Angst vor dem anderen Geschlecht. Wenn es keine Erfahrungen gibt, die diese Angst abbauen, und wenn politische Akteure sie verstärken, bleibt sie aber bestehen.
Eine meiner Studentinnen hat für ihre Master-Arbeit mit Männern gesprochen, die aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen sind. Da reingekommen sind sie eben genau aufgrund von Identitätsproblemen als junge Männer. Ein Muster bei den Aussteigern war, dass sie in ihrem männerbündlerischen Sumpf Frauen von außerhalb kennengelernt und andere Erfahrungen gemacht haben.
Löst der verstärkte Frauenhass jetzt eine feministische Gegenreaktion aus?
Bislang ist da nicht wahnsinnig viel zu merken. Die feministische Bewegung ist im Moment da aktiv, wo es um reproduktive Rechte geht - ein Element rechter Politisierung ist ja beispielsweise die Forderung, dass Abtreibungsrechte verschärft werden sollen. Da regt sich im Moment feministisch etwas.
Was der feministischen Bewegung nicht gelungen ist und auch Parteien nicht geschafft haben: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Haus- und Sorgearbeit besser zu gestalten. Da gibt es noch immer viel Frust unter Frauen - und ich sehe nicht, dass eine feministische Bewegung das ohne weitere gesellschaftliche und politische Unterstützung erfolgreich aufgreifen kann.
Was müssen wir aus alldem lernen, wie könnte man die Polarisierung zwischen jungen Männern und Frauen wieder etwas eindämmen?
Es bräuchte Impulse im Bildungsbereich und in der Erziehung. Aber auch in den Unternehmen - dass Männer tatsächlich Teilzeit arbeiten können, zum Beispiel. Gerade in Österreich, wo die Vorstellung des familienernährenden und vollzeitarbeitenden Vaters noch ganz tief sitzt, ist das schwer.
Auch die Babykarenz wird von Vätern viel kürzer wahrgenommen als von Müttern. Die Firmen müssten hier andere Arbeitszeitmodelle anbieten und jungen Männern mehr Angebote machen, was die Sorge um andere und auch die Sorge um sich selbst angeht - durch generelle Arbeitszeitverkürzung oder eben dadurch, dass man Väterkarenz mehr in den Mittelpunkt stellt und die Vorzüge politisch deutlicher hervorhebt.
Die Organisation von Sorge um andere - um Kranke, Alte, Kinder - ist in kapitalistischen Gesellschaften ja schon immer eine Herausforderung und schlecht geregelt. Ich sehe hier eine große Chance für Veränderung. Wir befinden uns in wirtschaftlichen Krisen, in denen Menschen arbeitslos werden. Da wäre es doch an der Zeit, zu überlegen: Welche guten Modelle gibt es, die Arbeitsplätze retten und gleichzeitig Männer dazu befähigen, auch Sorgearbeit zu übernehmen? Das wird nicht individuell passieren, es braucht betriebliche und staatlich geförderte Maßnahmen.
Bräuchte es dafür ein eigenes Männerministerium?
So etwas hatten wir in Österreich ja, es gab bis vor nicht allzu langer Zeit eine Männerabteilung im Sozialministerium. Aber die hat leider nur die Väterrechtler (Männer, die sich öffentlich darüber beklagen, nach Trennung und Scheidung zu wenig Rechte zu haben, Anm.) unterstützt. Eine neue, emanzipative Männerpolitik würde ich sehr begrüßen.
Es bräuchte aber auch so etwas wie eine Männerbewegung, die eben nicht ein maskulinistisches Überlegenheitsgefühl propagiert, sondern die Vorstellung von neuer Männlichkeit, Vaterschaft und Partnerschaft als eine Lebensmöglichkeit vor Augen führt. Das wäre dann auch eine feministische Bewegung.
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