Die Länder Ex-Jugoslawiens hätten eine tief verwurzelte Geschichte des Feminismus und der Geschlechtergleichstellung. „Im sozialistischen Jugoslawien hatten Frauen über das 20. Jahrhundert hinweg viele Rechte, für die Frauen in westlichen Ländern wie Österreich länger kämpfen mussten.“
Jugoslawische Frauen konnten seit den 1950ern abtreiben und hatten zu einer Zeit freien Zugang zum Arbeitsmarkt – viele waren in typisch-männlich konnotierten Branchen tätig –, in der Österreicherinnen noch ihre Ehemänner um Arbeitserlaubnis bitten mussten (bis 1975). Gleichzeitig waren lohnarbeitende Frauen aber oft mit Haushalt und Kindererziehung mehrfachbelastet, sagt Simić.
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Mit dem Ende des Sozialismus seien mit der Bedeutung von Nationalismus und Religion auch traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit erneut erstarkt, so Simić.
Solche Erwartungen kennt die 19-jährige Adila Odobašić aus dem bosnischen Tuzla gut. Während ihre Brüder als Kinder rausgehen durften, musste sie kochen und abwaschen, erzählt die Psychologiestudentin und BMC-Teilnehmerin: „Es gibt hier Vieles, was Frauen nicht tun sollen, Männer aber schon – und umgekehrt.“
Wunsch nach Ordnung
Expertin Simić erklärt, was das mit den Jugoslawienkriegen der 1990er Jahre zu tun hat: „Nach Kriegsende kehrten die Ex-Soldaten zurück, gezeichnet durch ihre Erfahrungen an der Front. Sie stellten fest, dass die Idee von starker Männlichkeit und Kriegsheldentum eine Illusion war.“
Mit dem Zusammenbruch der Gesellschaftsstruktur, des Polit-Systems, der Wirtschaft etc. habe das zu Unsicherheit geführt: „Das Patriarchat ist ergiebig, weil es vorgibt, Ordnung zu schaffen. Es definiert in seiner binären Logik die Rollen des Mannes und der Frau ganz klar.“ Deshalb sei es gerade in Krisenzeiten sehr erfolgreich – ähnliche Tendenzen habe man auch anderswo, etwa während der Covid-Pandemie, gesehen.
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Studentin Adila fühlte sich als Kind nicht nur bezüglich ihrer Aufgaben anders behandelt als ihre Brüder. Früher habe sie gern Fußball gespielt, doch als Mädchen habe sie niemand unterstützt. „Als ich auf einen Schulball gehen wollte, hat meine Mutter mir gesagt, meine Beine seien vom Sport zu muskulös für mein kurzes Kleid“ – mit solchen Sticheleien sei sie immer wieder konfrontiert worden, sagt Adila. Schließlich hörte sie mit dem Fußball auf.
Heute, einige Jahre später, bereue sie das. Gleichzeitig beobachte Adila, dass ihrem Bruder etwas Ähnliches passiert. Er tanze gern – ein Hobby, das viele in seinem Umfeld laut Adila für zu feminin für einen Jungen halten.
Das vorherrschende Männerbild
„Das vielerorts vorherrschende Männerbild ist durch körperliche Stärke, Emotionsunterdrückung und Autorität gekennzeichnet“, sagt Dijana Simić. Wollen Männer dem gerecht werden, würden sie oft Gewalt anwenden, um sich zu behaupten.
Der Belgrader Schauspieler Jovan Zdravković hat das selbst erlebt: „Ich war früher hart und auf alles wütend, bei Sportevents habe ich herumgeschrien.“ Dann habe der heute 30-Jährige verstanden, dass er so nicht sein müsse. Dabei habe ihm der Austausch im BMC geholfen, bei dem er seit 11 Jahren dabei ist – mittlerweile als Koordinator.
Einfach wird dem BMC die Arbeit mit Jugendlichen nicht gemacht, erzählen Organisatoren. Gehen sie in Schulen, dürften sie manchmal über gewisse Themen – vor allem jene, die mit Sex zu tun haben – nicht sprechen oder sie würden verbannt.
Auch wegen des EU-Beitrittskandidatenstatus von fünf Westbalkanländern ist die Gleichstellung von Mann und Frau dort gesetzlich geregelt. Es ist eher die Verankerung im gesellschaftlichen Denken, an der es hapert.
Genau die wünscht BMC-Teilnehmerin Adila sich, sagt sie. Bis es so weit ist, setzt sie sich in ihrer Familie dafür ein, dass ihr Bruder weitertanzt.
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