Wahlkampf in Polen: "Frausein ist viel mehr als Muttersein"
Die polnischen Parteien wollen vor der Wahl am 15. Oktober die Frauen ansprechen – und vergessen auf Probleme, die nichts mit dem Kinderkriegen zu tun haben.
„Mädels, geht nicht mit Konfederacja-Wählern ins Bett!“, appellierte das Linksbündnis Lewica kürzlich an junge Polinnen – nachdem Umfragen gezeigt hatten, dass viele junge Männer bei der Wahl am 15. Oktober für die ultra-rechte Partei stimmen könnten. Die Antwort einer Konfederacja-Politikerin? „Ich stimme zu. Geht nicht mit ihnen ins Bett, sondern zum Altar!“
Der polnische Wahlkampf ist in seiner finalen, heißen Phase. Und er ist zu einem Rennen um die Stimmen der Frauen geworden, die bei dieser Wahl wohl in größerer Zahl zur Urne gehen könnten als je zuvor. Auch die großen Parteien und Bündnisse wollen die Frauen ansprechen.
Eigene "Frauenbusse"
Politikerinnen des liberal-konservativen Oppositionsbündnisses Bürgerkoalition (KO) touren etwa in eigenen „Frauenbussen“ quer durchs Land. Und selbst Vertreter der langjährigen rechts-konservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) erklärten, Frauenrechte verteidigen zu wollen – auch wenn sie etwas anderes darunter verstehen.
Eine der umkämpften Wählerinnen ist die 22-jährige Natalia, die der KURIER in ihrer Heimatstadt Warschau trifft. Schon bei der letzten Wahl 2019 hoffte die junge Frau, die heute Asienkunde studiert, auf eine Abwahl der PiS-Regierung. Dazu kam es nicht: „Als das Ergebnis feststand, hat meine Oma den Fernseher vor Wut abgedreht“, erinnert sie sich.
Natalia weiß schon genau, wen sie wählen wird: Lewica, die Linken. Unter der PiS gebe es „immer mehr Hass in diesem Land“. Manche ihrer Freunde seien transgender, bi- oder homosexuell, würden sich nicht sicher fühlen. Hier sind Natalia die Ansätze des größten Oppositionsbündnisses KO – aktuell liegt es bei rund 28 Prozent, die PiS bei 35 – zu schwach.
Ein großes Problem sieht die Studentin zudem in dem Quasi-Abtreibungsverbot, das die PiS 2021 eingeführt hat. Seither dürfen Frauen die Schwangerschaft auch bei schweren Fehlbildungen des ungeborenen Kindes nicht mehr beenden. Bei einer illegalen Abtreibung drohen dem medizinischen Personal bis zu drei Jahre Haft.
Mindestens eine tote Frau pro Quartal
Aus Angst vor Strafen gibt es nun kaum mehr Ärzte, die Abtreibungen durchführen – teilweise sogar dann nicht, wenn die Schwangeren in Lebensgefahr schweben: „Etwa einmal pro Quartal stirbt mindestens eine Frau daran“, weiß die Gleichstellungsexpertin Aleksandra Niżyńska vom Beratungsunternehmen Gender Solution in Warschau. „Das sind nur die Fälle, von denen wir wissen – wir gehen davon aus, dass es viel mehr sind.“
Natalia hat den Eindruck, dass Sex seit der Verschärfung des Abtreibungsrechts besonders für Frauen stressiger ist: „Es kann immer passieren, dass beim Verhüten etwas schief läuft“, sagt sie. Eine 16-jährige Bekannte von ihr sei ungeplant schwanger geworden: „Jetzt hat sie ein Kind, das sie nicht will.“ Viele Polinnen würden aber auch ins Nachbarland Tschechien fahren, um abzutreiben.
Das Abtreibungsgesetz, der Hass, die erzkonservativen Werte vieler Landsleute – aus all diesen Gründen will Natalia Polen verlassen und nach dem Studium in ein toleranteres Land ziehen, vielleicht nach Schweden.
Warschauer Bubble
Wer in Warschau mit jungen, gebildeten Frauen spricht, hört Meinungen wie die von Natalia nicht selten. Dass die Linken die Wahl gewinnen, ist aber dennoch unrealistisch: Sie liegen bei etwa elf Prozent.
Verlässt man die moderne Hauptstadt und spricht mit älteren Frauen, ist von Lewica keine Rede – in Białystok zum Beispiel, rund 200 Kilometer nordöstlich von Warschau. Hier hängen mehr Wahlplakate von PiS und Konfederacja – es sind vor allem Männer, die auf den glänzenden Bildern strahlen.
Wählerinnen der beiden Parteien, die über Politik reden wollen, sind wie an den meisten Orten auch in Białystok nicht leicht zu finden. Die etwa 50-jährige Teresa hat nur kurz Zeit – bis sie ihre Zigarette ausgeraucht hat. Sie klingt verärgert, als sie sagt: „Ja, ich werde PiS wählen. Warum? Weil ich noch nie ein besseres Leben hatte als jetzt.“
PiS-Wahlkampfschlager
Ihre großzügige Sozialpolitik ist der große Trumpf der Regierungspartei. Sie erhöhte den Mindestlohn genauso wie die Renten. Und: 500 Złoty (umgerechnet 115 Euro) Kindergeld erhalten polnische Familien seit 2019 pro Monat pro Kind. Ab 2024 sind es 800 Złoty (im Verhältnis mehr als in Östereich), der Präsident hat die Erhöhung pünktlich vor der Wahl abgesegnet.
Gleichstellungsexpertin Niżyńska analysiert: „Die Botschaft der PiS an die Frauen lautet: Wir unterstützen euch in eurer Rolle als Mütter.“
Aber nicht nur bei der PiS, auch bei den anderen Parteien falle ihr auf, dass eine „sehr beschränkte Sichtweise“ dominiere, was Frauenpolitik angeht. „Es wird vor allem über Reproduktion gesprochen“, sagt die Expertin. Dabei sei Frausein viel mehr als Muttersein. Viele Probleme der Polinnen, die nichts mit Kindern zu tun haben, würden ignoriert: „Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt, geschlechterspezifische Gewalt, Frauen in der Politik – all das wird nicht genug diskutiert.“
Ein Grund dafür ist laut Niżyńska, dass es mit dem Quasi-Abtreibungsrecht ein dringenderes Thema gebe. „Andere Forderungen sind zur Seite geschoben worden, weil Frauen sterben“, sagt sie. Und dann sei da noch die in Polen traditionell sehr einflussreiche katholische Kirche: „Sie war lange der Gatekeeper, was die Gleichstellung der Geschlechter angeht. Feministische Bewegungen bedrohen ihre Macht über die Köpfe der Menschen.“
Gesellschaft ändert sich
Doch die polnische Gesellschaft verändere sich stark, so die Expertin, das würden Umfragen zeigen: Weniger Vertrauen in die Kirche, mehr arbeitende Frauen, mehr sich um Kinder kümmernde Männer.
Wie sich das auf die Wahl auswirken wird, bleibt abzuwarten. Bei all der Wahlwerbung, die konkret Frauen anspricht, darf nicht vergessen werden: Frauen treffen ihre Wahlentscheidung in der Regel nicht allein aufgrund jener Themen, die nur Auswirkungen auf Frauen haben.
Pensionistin Wiesława aus Białystok etwa wählt die KO, einfach weil sie die PiS nicht mag. Und die 28-jährige Anwältin Kinga, die ebenfalls in Białystok lebt, weiß nicht, ob oder wen sie wählen wird: „Das Programm der PiS ist schlecht, aber Donald Tusk hatte seine Chance und hat sie nicht genutzt.“ Der Chef der KO war bereits von 2007 bis 2014 Premier.
Wie viele andere Polen, Männer wie Frauen – wünscht Kinga sich vor allem eins: „Dass die gespaltene Gesellschaft wieder zueinanderfindet.“
(kurier.at, sem)
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Aktualisiert am 11.10.2023, 10:52
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