Biden und Harris: Wie Biden die USA neu ausrichten will
Der Mann der Mitte und die Stimme der Progressiven hätten als neues Duo im Weißen Haus vor allem einmal Scherben zu kitten und akute Probleme wie die Pandemie zu lösen.
Es ist der traditionelle Stehsatz der amerikanischen Politik, und Joe Biden konnte sich ihn auch nach der Wahl nicht verkneifen. Als die tröpfelnden Ergebnisse erstmals klar in seine Richtung deuteten, wurde der ehemalige Vizepräsident umgehend sehr präsidial: Unter seiner Führung werde es keine roten und keine blauen Staaten mehr geben, sondern nur noch die Vereinigten Staaten von Amerika.
Ein Wunsch, der lückenlos in Bidens politische Biografie passt, aber wohl kaum zu dem Land, das er voraussichtlich im Jänner übernehmen wird. Müßig zu erörtern, wie gespalten die USA bereits vor Donald Trump waren und wie viel die vergangenen vier Jahre mit Twitter-Dauerbeschallung und einem Amtsenthebungsverfahren da noch draufgelegt haben. Zwischen den globalen Metropolen von Los Angeles bis Houston und dem flachen Land dazwischen liegen ohnehin Welten, doch diese Welten stehen einander so feindselig und unversöhnlich gegenüber wie nie zuvor.
"Es ist dieses Grundgefühl, ständig als engstirniges, ängstliches Landei betrachtet und missachtet zu werden", brachte der Soziologe Sean Dunne, der selbst in Ohios ärmster ländlicher Gegend wohnt, die Stimmung in einem Gespräch mit dem KURIER auf den Punkt: "Und das macht wütend – und diese Wut geht nicht einfach weg."
Der 78-jährige Biden ist in einem ganz anderen Land politisch groß geworden: im Amerika der Wirtschaftswunder-Jahre. Auch das wurde von Konflikten zerrissen, um die Bürgerrechte für Afroamerikaner oder den Vietnamkrieg.
Biden hat in diesen Jahren die altbewährte Schule der amerikanischen Politik besucht: "Über den Mittelgang hinweg zusammenarbeiten", lautete das Motto, dem er sich immer verpflichtet fühlte. Das heißt, Kompromisse mit den Republikanern suchen, pragmatisch bleiben, Lösungen finden. Es ist wohl der Weg, den der langgediente Senator auch im Weißen Haus zu gehen versuchen wird.
Doch dabei stehen ihm nicht nur die Vorbehalte der Republikaner im Weg, die unter Trump noch mehr zur rechtspopulistischen Arbeiterpartei geworden sind, sondern auch die der eigenen Partei. Bei den Demokraten hat der progressive linke Flügel das Sagen, auch weil Persönlichkeiten wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez junge urbane Wähler begeistern. Die wohnen zwar in Gegenden und Bundesstaaten, die meist ohnehin Hochburgen der Demokraten sind, aber sie helfen gegen die ohnehin chronische Überalterung der Partei und ihrer Wähler.
Nicht umsonst hat Trump versucht, seinen Wählern mit Warnungen vor dem "Kommunisten" Bernie Sanders und dem gewaltbereiten Mob, der angeblich hinter Ocasio-Cortez steht, Angst einzujagen. Für europäischen Geschmack haben die Forderungen dieses progressiven Flügels wenig Radikales an sich: Ob es nun um eine Krankenversicherung geht, die endlich alle Amerikaner bekommen sollen, eine Wende in der Klimapolitik oder Steuererhöhungen für die reichsten Amerikaner.
Biden ist den Progressiven verpflichtet, auch weil sie ihm zuletzt den Weg zur Kandidatur freigemacht haben. Schon jetzt hat er deshalb eine gewichtige Entscheidung angekündigt: Sobald er ins Weiße Haus einzieht, werden die USA dem Klima-Abkommen von Paris wieder beitreten, das sie unter Trump verlassen haben.
Die "Polizistin"
Eine Vize-Präsidentin Kamala Harris, 55, war das Zugeständnis an die Progressiven. Die Senatorin aus Kalifornien soll deren Stimme im Weißen Haus sein. Ihr Image als "Polizistin", die in den Untersuchungsausschüssen zur Russland-Affäre Trumps Vertrauten schwer zusetzte, unterstützt diesen Eindruck. Politisch aber steht Harris so wie Biden eher in der Mitte. Als sie selbst kurzfristig ins Rennen um die Präsidentschaftskandidatur einstieg, blieb sie zum damaligen Favoriten Bernie Sanders und seinen Forderungen klar auf Distanz.
Eine Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen mag eine große Geste sein, ob aber Biden und Harris auch in der politischen Praxis so konsequent vorgehen werden, bleibt nach diesem knappen Wahlergebnis abzuwarten.
Schon im Wahlkampf machte Biden bei schwer verkäuflichen politischen Zielen kehrt. Ein Ende des umwelt- und klimaschädlichen Fracking von Erdgas und Erdöl, das er gefordert hatte, war vom Tisch, als das in Bundesstaaten wie Pennsylvania Stimmen zu kosten drohte.
In welche politische Richtung die beiden steuern werden – und mit welcher Konsequenz – wird sich wohl erst mit Verzögerung zeigen. Zuerst muss man ohnehin die größte Herausforderung meistern, die das Land seit dem Finanzkollaps 2008 zu bewältigen hat: Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Konsequenzen. Biden hat den Präsidenten im gesamten Wahlkampf für seine strategielose Sprücheklopferei kritisiert. Anders als Trump trägt ja er ständig eine Maske, macht damit deutlich, dass er bereit ist, entschlossen Maßnahmen zu ergreifen, egal, ob es sich um einen strengeren Lockdown handelt oder weitere Hilfsgelder für die Wirtschaft.
Dabei aber stehen ihm einzelne Bundesstaaten und deren politische Führung im Weg, die lieber auf Lockerung statt auf Pandemie-Bekämpfung setzen. Selbst im Kampf mit dem Corona-Virus sind die USA ja gespalten. Die Kurssuche wird für den Mann der Mitte also von Anfang an schwierig.
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