Das Prozedere in den USA unterscheidet sich massiv von unserem - die Komplexität, die atemlose Berichterstattung und die mangelhaften Umfragen spielen Trump in die Hände.
Donald Trumps in kapitalen Lettern abgesetzter Tweet, dass Joe Biden in Michigan angeblich auf einen Schlag 140.000 Stimmen dazubekommen hätte, ging durch die Decke: 70.000 Mal wurde der Vorwurf, die Demokraten würden betrügen, weiterverbreitet.
Allein: Die Geschichte ist falsch. Die Wahlbehörde in Shiawassee County hatte unabsichtlich eine falsche Stimmzahl online ausgespielt, was auch nach 20 Minuten ausgebessert wurde. Alles gut, oder?
Anfälliges System
Mitnichten. Die Episode illustriert bestens, wie anfällig das hochkomplexe Wahl- und Auszählsystem der USA für Verschwörungstheorien und Betrugsvorwürfe ist – und wie meisterhaft Trump das nützt.
Während es etwa in Österreich nach Wahlschluss eine landesweite Hochrechnung inklusive der Briefwahlstimmen gibt, ist das in den USA komplett anders: Landesweite Ergebnisse sind ohne Nutzen, da ja nicht die Stimmen aller Wahlberechtigten, sondern die Wahlmänner der Bundesstaaten zählen. Und da beginnt die Krux: „Nur ein viertel Prozentpunkt Unterschied kann einem Kandidaten alle Wahlmänner eines Staates verschaffen“, schreibt Zeynep Tufekci, Soziologie-Professorin an der University of North Carolina.
Das sei der Grund, warum Umfragen so oft daneben lägen. Es bräuchte 51 parallele Hochrechnungen, die die unterschiedlichen Wahlsysteme und die vielen Briefwahlstimmen (heuer in manchen Staaten 60 Prozent) einberechnen müssten. Und das ist eine methodisch mehr als herausfordernde Angelegenheit, mit exakten Ergebnissen also kaum machbar.
Dazu kommt, dass – anders als bei uns – aus allen Counties Zwischenergebnisse gemeldet werden. Das hat zur Folge, dass zu Beginn der Auszählung der eine Kandidat, am Ende der andere führen kann – wie Joe Biden in einigen Swing States, wo viele Demokraten per Brief gewählt haben, die ja zuletzt gezählt werden.
Befeuert wird das durch die Medien, die sich in der Wasserstands-Berichtererstattung ein „Horse-Race“ liefern, argumentiert die Journalistik-Professorin Amber Roessner von der Uni Tennesse: Es gebe eine „unheilige Allianz“ aus News-Industrie und Umfrageinstituten, die den unstillbaren Durst der Amerikaner nach schnellen Infos zu Geld machen würden, schreibt sie.
Das vergrößere die Unsicherheit bei den Wählern nur noch weiter, meint auch Tufekci: Denn in den USA sind es nicht die Wahlbehörden, die schlussendlich einen Sieger pro Bundesstaat küren, sondern die Medien – sie küren aufgrund der Zwischenergebnisse eines Bundesstaats einen Gewinner, noch bevor die Wahlkommission die Auszählung beendet hat. Und dass da konservative Medien anders verfahren als liberale, trägt auch nicht gerade zur Beruhigung der Lage bei.
Auch der Umstand, dass Trump bei Wahlen immer besser abgeschnitten hat als prognostiziert, spielt ihm in die Hände: Statistische Ungenauigkeiten sind normal – aber wenn sie immer in eine Richtung ausscheren, natürlich verdächtig. All das nützt er, um Wahlbetrug in den Raum zu stellen. Wie kann er nicht gewinnen, wo all diese Parameter so falsch – und womöglich gefälscht – sind?
Briefwahl: 99 Millionen Wahlberechtigte wählten per Brief oder durch vorzeitige Stimmabgabe. 2016 gingen insgesamt 136,5 Millionen zur Urne.
67Prozent betrug die Wahlbeteiligung, das ist der höchste Wert seit einem Jahrhundert.
48 Prozent der Frühwähler sind registrierte Demokraten, 29 Prozent Republikaner.
Kommentare