Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

Supporters of deposed Egyptian President Mohamed Mursi take part in a protest at the Rabaa Adawiya square, where they are camping, in Cairo July 27, 2013. At least 70 people died on Saturday after security forces attacked supporters of deposed President Mohamed Mursi in Cairo, Muslim Brotherhood spokesman Gehad El-Haddad said, adding the toll could be much higher. REUTERS/Mohamed Abd El Ghany (EGYPT - Tags: POLITICS CIVIL UNREST)
Nachdem dutzende Muslimbrüder bei Protesten getötet wurden, kippt die Lage in Ägypten.

Blut bringt noch mehr Blut“, sagt Ahmed Naguib zum KURIER. Der liberale ägyptische Aktivist ist enttäuscht, aber nicht überrascht über die Ereignisse von Samstagfrüh. Dutzende Menschen sind tot. Die Straßen blutverschmiert, die Krankenhäuser überfüllt. Und am Samstag wurden neue Ausschreitungen erwartet – und mit ihnen noch mehr Blut. Am Abend lief ein Ultimatum der Armee an die Mursi-Anhänger ab. Bis dahin sollten sich die Muslimbrüder am Versöhnungsprozess der neuen Regierung beteiligen. Die Generäle drohten zudem damit, die Proteste gegen die vom Militär gestützte Regierung aufzulösen. „Auf legale Weise“, hieß es. Denn Anwohner hätten sich beschwert. Nach Ablauf der Frist waren zunächst keine Maßnahmen der Militärs erkennbar. Im Protest-Camp der Mursi-Anhänger in der Vorstadt Nasr City harrten auch Sonntagfrüh noch Tausende aus.

„Sie schießen, um zu töten“

Seit 30 Tagen sind die Anhänger von Mohammed Mursi auf der Straße. Die meisten von ihnen in einem Protestcamp im Kairoer Stadtteil Nasr City. Dort waren auch täglich Frauen und Kinder anwesend. Gemeinsam beteten sie, gemeinsam feierten sie das Fastenbrechen. Glaubt man den Ausführungen der Muslimbrüder und den Berichten des arabischen TV-Senders Al Jazeera, dann waren die Proteste ruhige Sit-Ins gegen die Absetzung des Präsidenten Mursi durch das Militär am 3. Juli.

Doch laut Muslimbruder-Angaben sind in der Nacht auf Samstag mindestens 160 von ihnen von der Polizei getötet worden. 4000 sollen verletzt worden sein, nachdem die Bereitschaftspolizei eine Gruppe von Demonstranten am Rande des Protestcamps angegriffen hatte. Viele der Opfer hatten laut Augenzeugen Schussverletzungen in Kopf und Brust. „Sie schießen nicht, um zu verletzen, sondern um zu töten“, sagte der Sprecher der Bruderschaft, Gehad al-Haddad am Samstag. In einem provisorischen Feldspital in der Nähe des Camps spielten sich dramatische Szenen ab. Die Ärzte kamen mit der Versorgung Verwundeter kaum nach.

Die Bilder aus Ägypten:

Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

A supporter of deposed President Mursi runs from t
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

Supporters of deposed President Mursi throw stones
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

EGYPT OUSTED PRESIDENT MORSI BACKERS AND OPPONENTS
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

EGYPT OUSTED PRESIDENT MORSI BACKERS AND OPPONENTS
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

EGYPT OUSTED PRESIDENT MORSI BACKERS AND OPPONENTS
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

EGYPT OUSTED PRESIDENT MORSI BACKERS AND OPPONENTS
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

EGYPT OUSTED PRESIDENT MORSI BACKERS AND OPPONENTS
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

A pro-Mursi supporter wears a headband during a ra
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

EGYPT OUSTED PRESIDENT MORSI BACKERS AND OPPONENTS
Besorgnis wächst nach Gewalt in Ägypten

A military helicopter flies over clouds of smoke i

Auch gestern kam es zu Unruhen. Wie viele Menschen am Freitag und Samstag tatsächlich getötet wurden, war schwer zu überprüfen. Die Zahl der Toten wurde zum Propagandainstrument und variiert von Quelle zu Quelle. Das Gesundheitsministerium zählte rund 100 Leichen weniger als die Muslimbrüder. Was die Ausschreitungen ausgelöst hatte, war Diskussionsstoff. Mursi-Anhänger erzählten, dass ihre Leute beschossen worden sind, als sie in Richtung Innenstadt loszogen, um eine Brücke zu blockieren. Innenminister Mohammed Ibrahim führte es auf eine „Provokation“ zurück. Es sei ein „Trick“ der Muslimbrüder gewesen, „um einen Zwischenfall zu provozieren und Sympathien zu gewinnen.“

Angst vor Eskalation

Der Gewaltausbruch in Ägypten hat weltweit Sorge ausgelöst. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte das Blutvergießen und rief die Übergangsregierung auf, "den Schutz aller Ägypter sicherzustellen". Auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton rief zum Gewaltverzicht auf. US-Außenminister John Kerry brachte in einem Telefonat mit Übergangsvizepräsident Mohammed ElBaradei die "tiefe Besorgnis" der USA zum Ausdruck. Auch Frankreich rief die Armee zur Zurückhaltung auf.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan fand drastische Worte: Er übte scharfe Kritik am Vorgehen der Sicherheitskräfte. Laut Hürriyet Daily News sprach Erdogan von einem "Massaker" an den Demonstranten. Erdogan war kürzlich wegen des brutalen Vorgehens der türkischen Polizei gegen regierungskritische Demonstranten im In- und Ausland scharf kritisiert worden. Unter Anspielung auf die sogenannte Gezi-Park-Bewegung meinte Erdogan, die Anhänger Mursis seien im Gegensatz zu den türkischen Demonstranten nicht gewalttätig gewesen.

Dritte Strömung

Ahmed Naguib ist weder Anhänger des Militärs, noch der Muslimbrüder. Mit mehreren anderen Aktivisten hat er eine „Dritte Strömung“ des Protests mitbegründet, die sich gegen beide großen Blocks stellt. Rund 2000 Menschen haben sich ihm bereits angeschlossen. Naguib gibt dem Innenministerium die Schuld an dem Blutvergießen in Ägypten.

„Panzerdemokratie“ nennt er das, was die Armee gerade durchzusetzen versucht. Der mächtige Mann in Ägypten, Armeechef und Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi hatte am Mittwoch zu „Millionenmärschen“ zur Unterstützung des Militärs aufgerufen. Damit wolle er die Legitimation zum Kampf gegen den „Terror“ erreichen, wie er selbst sagte. Der Terror, das sind in seinen Augen brutale Mursi-Anhänger, die vergebens die Wiedereinsetzung „ihres“ Präsidenten verlangen. Einen „Aufruf zum Bürgerkrieg“ von al-Sisi nannten das die Muslimbrüder.

Mursi zu Mubarak

Ex-Präsident Mursi befindet sich unterdessen weiter in Untersuchungshaft. Seit Donnerstag hat seine Haft zumindest eine juristische Grundlage: Gegen ihn wurde – nachdem er tagelang an einem unbekannten Ort „zu seiner Sicherheit“ festgehalten worden war – Anklage erhoben. Wegen Mordes und Landesverrats. Mursi soll nun ins Tora-Gefängnis gebracht werden. Dorthin, wo auch sein Vorgänger Hosni Mubarak einsitzt.

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