Baerbock gegen Scholz: Der Streit um die deutsche Außenpolitik
Kein anderer Minister – oder andere Ministerin – machte im vergangenen Jahr so viele Flugmeilen wie sie: Marokko, Äthiopien, Kasachstan, Indien – auf der ganzen Welt warb die grüne Außenministerin Annalena Baerbock um Solidarität für die Ukraine. Der Krieg ist zum wichtigsten Thema ihrer Amtszeit geworden. Sie ist die, die redet – vor der UN, bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Nicht aber die, die entscheidet. Das macht Kanzler Olaf Scholz (SPD) – wie in der Frage der Panzerlieferungen an die Ukraine.
Vor einem Jahr, die Ampel war noch nicht einmal zwei Monate alt, sicherte sich Scholz den Begriff der "Zeitenwende". Seitdem schwelt der Konflikt: Kanzler oder Außenministerin – wer entscheidet den außenpolitischen Kurs Deutschlands in dem neuen Zeitalter?
Nicht nur in der Panzerfrage scheiden sich die Geister: So scheint es den beiden nicht möglich, sich auf die Nationale Sicherheitsstrategie, die Baerbock bereits im März vergangenen Jahres angekündigt hatte und eigentlich auf der Sicherheitskonferenz vorlegen wollte, zu einigen. Laut Spiegel und Zeit scheitert es an der Frage, wo das zentrale außen- und sicherheitspolitische Gremium der Regierung angesiedelt sein soll – beim Kanzler oder der Außenministerin?
Auch der künftige Umgang mit China sorgt für Zerwürfnisse: Als Scholz im Oktober nach dem Teilkauf des chinesischen Cosco-Konzerns eines Hamburger Hafenterminals nach Peking aufbrach, ohne die Ausarbeitung der angekündigten China-Strategie abzuwarten, machte Baerbock ihr Missfallen laut.
Der Kanzler funkt dazwischen
Baerbocks (feministische) Außenpolitik muss sich wohl auch deswegen den Vorwurf anhören, zu undefiniert, zu unklar zu sein – Scholz funkt ihr immer wieder dazwischen. Letztlich kann er das sogar aufgrund seiner, wenn auch selten genutzten, Richtlinienkompetenz: Nach der hat der Kanzler in allen Entscheidungen das letzte Wort.
Und zu all dem ist es vielleicht auch die Art der beiden, die für Zerwürfnisse sorgt, mutmaßt etwa der Spiegel: Die werteorientierte Baerbock setzt auf Worte und Emotionen; der realpolitische Scholz auf Schweigen, Kühle, Zurückhaltung.
Dazu kommt, dass beide schon einmal Konkurrenten waren – im Wahlkampf um das Kanzleramt – und es auch wieder werden könnten. Generell, hält etwa der deutsche Politikwissenschafter Albrecht von Lucke der Ampel-Regierung vor, fehle es an einem einheitlichen Führungswille – sowohl SPD als auch Grüne agierten zu sehr mit Fokus auf die nächsten Wahlen und das Kanzleramt.
"Brieffeindschaft" zwischen Lindner und Habeck
Arm an Konfliktduos ist die Ampel gerade nicht: Auch bei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) drangen Uneinigkeiten an die Öffentlichkeit – in Form eines Briefwechsels zwischen den beiden über die Aufstellung des Bundeshaushalts 2024. Darin siezten sich die Minister, die schon lange per Du sind, plötzlich wieder. Von einer regelrechten "Brieffeindschaft" schrieben die deutschen Medien.
Lindern wird vorgeworfen, in den Haushaltsverhandlungen grüne Herzensprojekte wie die Kindergrundsicherung mit Verweis auf mangelndes Geld abzublocken, während die FDP selbst Steuerentlastungen und höhere Verteidigungsausgaben fordere. Für Lindner wiegt schwer, dass Habeck mit dem Brief seine Zuständigkeit für die Priorisierung von Ausgaben infrage stellt. Seinem Ärger auf den Koalitionspartner ließ er beim politischen Aschermittwoch freien Lauf: "Wenn Ihr was sucht für die Fastenzeit, auf was Ihr verzichten könnt – mein Vorschlag ist: bis Ostern Verzicht auf die tägliche Forderung nach Steuererhöhungen."
Der deutsche, bereits verstorbene Politologe Wilhelm Hennis soll einmal geurteilt haben: "Die Perversion des Denkens über Politik in der Bundesrepublik liegt gegenwärtig darin, dass die politische Klasse im Grunde gar nicht führen will, sondern akzeptiert sein will. Sie will im Prinzip nur Wahlen gewinnen." Nur mit der von Scholz so oft angekündigten Führungsverantwortung Berlins in der Welt wird es dann eben nichts.
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