Dass Habeck Dinge tut, die in anderen Zeiten als reaktionäre Bonzenpolitik durchgegangen wären und dafür selbst aus seiner eigenen Partei Applaus bekommt, hat nicht nur mit Putins Krieg zu tun. Er kann das, weil er die Zwickmühle, in die die Realpolitik ihn bringt, öffentlich macht, weil er seine Zweifel offen auf den Tisch legt.
Hemdsärmelig
Er spricht Unangenehmes aus, geht dabei mit sich selbst und auch den Deutschen hart ins Gericht: "Deutschland hat sich immer so aufgestellt, als würden wir alles besser machen und besser wissen", sagt er etwa. Aber politische Entscheidungen seien "nun mal nicht blütenweiß, das waren sie noch nie." Das sind Sätze, die ihm in anderen Zeiten wenig Freunde einbringen würden.
Dass die Deutschen ihm vertrauen, das sonst so zynische Feuilleton ihn nicht mal belächelt, wenn ihm bei einer Geschichte über einen ukrainischen Soldaten, der noch einmal ans Meer wollte und von einer unbekannten Deutschen eingeladen wurde, die Stimme bricht, ist kein Zufall. Habeck hat sein integres, hemdsärmeliges und bodenständiges Image gehegt und gepflegt, seit er 2002 in die Politik gegangen ist.
Mit 32, als erfolgreicher Schriftsteller, gab er sein romanhaftes Leben mit vier Kindern an der Ostsee auf, um bei den Grünen in Schleswig-Holstein ganz unten anzufangen; ein paar Jahre später war er Umweltminister. Auch in diesem Amt trainierte sich der promovierte Literaturwissenschafter seine Philosophieverliebtheit nicht ab, ebenso blieb ihm die Angewohnheit, auf Fragen auch Antworten zu geben. Das machte ihn selbst bei den Grünen zum Außenseiter.
Die Menschen aber wählten ihn von Beginn an für sein fast unpolitisches Tun: Damals erzählte man sich, dass er unter vier Augen offen zugab, wenn er etwas nicht wusste; dass er sich danach aber so sehr ins Thema vertiefte, um auf Augenhöhe mit seinem Gesprächspartner sprechen zu können. Jetzt ist seine Nachrede nicht viel anders. Er hat so viele Gesetzesvorlagen eingebracht wie kein anderer Minister der Ampelkoalition. Viel Wind hat er darum nicht gemacht.
Die Merkel-Lücke
Die eigene Partei bereut es mittlerweile, nicht ihn, sondern Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin nominiert zu haben. Er selbst hat diese Schmach nur einmal kommentiert. In einem Zeit-Interview nannte er die Entscheidung den „schmerzhaftesten, nein – schwersten“ Moment seiner Karriere, doch das legte man ihm nur kurz als selbstmitleidig-männliche Pose aus. Geblieben aus der Zeit ist ohnehin nur der Eindruck, dass er seine Bücher selbst schreibt und Baerbock nicht.
Putins Krieg hat ihm jetzt eine neue Bühne verschafft, und er weiß sie zu nutzen. Auch, weil dort eine Lücke klafft: Früher war es Angela Merkel, die der Nation mit einem Satz versichern konnte, dass mit ihr an der Spitze nichts passieren werde. Jetzt macht Habeck das – ganz in Kanzlermanier. Olaf Scholz, der das eigentlich tun sollte, schafft es in seiner spröden Art nicht, seine Politik zu erklären.
In den Umfragen haben Habecks Grüne Scholz’ SPD darum längst hinter sich gelassen, auf 25 Prozent kommen sie, Kopf an Kopf mit der CDU. Die Union beginnt daher, sich am "Oberlehrer" Habeck abzuarbeiten, und auch der Kanzler wirkt zusehends genervt. Ob er den Deutschen nicht auch ein paar Tipps geben wolle wie Habeck, der kürzlich zum kürzeren Duschen aufrief, wurde Scholz kürzlich gefragt. Er sagte nur: "Nö."
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