Die bessere Kanzlerin? Wie Baerbock Scholz abhängt

„Diese Opfer könnten wir sein.“
Die Vorstellung, dass eine deutsche Grüne in Stahlhelm und Schutzweste diesen Satz inmitten von Bombenkratern und Gräberfeldern sagt, schien vor Kurzem noch absurd. Bei Annalena Baerbock wirkt es, als hätte sie nie etwas anderes gemacht: „Ein Ikonen-Satz! Unter die Haut. Ins Gewissen“, kommentiert die Bildzeitung den Auftritt der Außenministerin in Kiew. Und fragt ganz unschuldig: „Wäre Baerbock die bessere Kanzlerin?“
Vakuum im Kanzleramt
Seit Wladimir Putin seine Panzer westwärts hat rollen lassen, hat sich in Deutschland so einiges verschoben. Die Grünen haben ihr Image als basisdemokratisch-problematische Pazifistenpartei so sehr abgelegt, dass sogar die Bild ihre Grünenskepsis ablegt. Möglich wurde das durch ein Vakuum im Kanzleramt: Olaf Scholz, der durch Zurückhaltung – oder Nichtstun, wie weniger Wohlmeinende sagen – ins Kanzleramt einzog, steckt in puncto Ukraine in der alten Putin-Falle. Zwar kündigte er kurz nach Kriegsausbruch eine „Zeitenwende“ an, eine Aufrüstung der Bundeswehr inklusive Abkehr von den alten Freunden der SPD in Moskau, doch seine Politik spiegelt das überhaupt nicht wider.
Speziell im Umgang mit Kiew blieb Scholz seltsam starr. Die Lieferung schwerer Waffen verhinderte er lange mit der Begründung, dann drohe „ein Atomkrieg“; zuletzt weigerte er sich beharrlich, nach Kiew zu reisen, die Ausladung Frank-Walter Steinmeiers durch Wolodimir Selenskij stünde dem „im Weg“.

Alles Herumwinden, das wohl diplomatisch gedacht war, brachte ihm aber lediglich den Vorwurf ein, nach wie vor zu Moskau-treu zu sein. Jetzt, da Baerbock ihn mit ihrer Überraschungsreise buchstäblich überholt hat, stellt sich für den Kanzler ein neues Problem: 30 Prozent der Deutschen glauben laut Umfrage, sie wäre „die bessere Scholz“, schreibt die Bild; sie ist die beliebteste deutsche Politikerin.
Umfragen sind Momentaufnahmen, und diese Überhöhung wird auch Baerbock an einen Moment im Wahlkampf erinnern, der ihre Politik bis heute prägt. Gut ein halbes Jahr vor dem Urnengang lagen die Grünen in Umfragen auf Platz eins, viele Medien schrieben Baerbock umgehend ins Kanzleramt. „Die Frau für alle Fälle“, titelte etwa der Spiegel, „Endlich anders“ der Stern. Enthüllungen um falsche Spesenabrechnungen und einen behübschten Lebenslauf später hieß es nur mehr: „Willkommen in der Wirklichkeit!“
Solche Ausrutscher würden der 41-Jährigen heute nicht mehr passieren. Sie sei mit dem Amt gewachsen, sagen Wegbegleiter, inszeniere sich in der Rolle, die sie gut beherrsche – als erste Frau im Amt, die glaubhafte und auch feministische Außenpolitik in einer Männerwelt machen will. In kleiner Runde erzählt sie darum Geschichten wie jene, als sie unlängst den Wodka ihres Amtskollegen Lawrow ablehnte. „Wenn mittags Wodkatrinken ein Härtetest ist – ich habe zwei Kinder geboren“, so ihre Replik.
Mit solcher Chuzpe kann Scholz tatsächlich schwer mithalten.
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