Sanktionen gegen Russland: Und sie wirken doch
„Am 11. Mai eröffnen alle OBI-Märkte wieder!“, „IKEA und Zara planen Rückkehr auf den russischen Markt.“
Wer die Schlagzeilen in den russischen Medien liest, könnte glauben, die Welt sei in Ordnung. Keine Rede mehr von Sanktionen, im Gegenteil: Diverse westliche Firmen kehren wieder auf den russischen Markt zurück, und in Moskau geht das Leben seine gewohnten Bahnen. Keine Schlangen mehr vor Bankomaten, dafür gefüllte Gastgärten mit Caffè-Latte-Trinkern.
Allein: Das stimmt nicht ganz, ebenso wenig wie die Kritik, dass die Sanktionen Russland nicht treffen würden. Dass Marken wie OBI oder Zara in Russland wieder eröffnen, hat einen simplen Grund:
Viele Ketten haben wegen drohender Enteignung ihre Filialen an russische Firmen verkauft, und die eröffnen die Standorte einfach unter dem alten Namen wieder. Dass das illegal ist, ist dabei egal – wichtiger ist der Propagandaeffekt.
Rezession
Dass die Sanktionen greifen, merkt man aber nicht nur an derartigen Umgehungsaktionen. Bloomberg berichtet über geleakte Daten aus dem russischen Finanzministerium, wonach das BIP heuer um 12 Prozent sinken wird. Das wäre der schlimmste Rückgang seit Anfang der 1990er-Jahre – also jener chaotischen Zeit nach dem Zusammenbruch der UdSSR, in dem das Land mit Hyperinflation und massiver Armut zu kämpfen hatte.
Auch beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche erwartet man heuer ein Minus von mindestens 9 Prozent. Kommt noch ein EU-Ölembargo dazu, steht Russland ein Absturz von bis zu 15 Prozent ins Haus. Selbst Elwira Nabiullina, Chefin der russischen Zentralbank, prophezeit dem Land deshalb einen harten Herbst, der die russische Wirtschaft um gut zehn Jahre zurückwerfen würde.
Düstere Prognosen
Auch für 2023 bleiben die Aussichten düster: Mit dem Rückzug westlicher Firmen und dem Verzicht auf Gas durch einige Staaten werde Russland bis weit ins nächste Jahr kämpfen, sagt die Finanzökonomin Natalja Lawrowa bei BCS Finanzen in Moskau zu Bloomberg.
In der russischen Hauptstadt werden darum Stimmen laut, die ein schnelles Friedensabkommen mit der Ukraine fordern. Vor allem Sergej Sobjanin, Moskaus Bürgermeister, liegt dem Kremlchef damit in den Ohren. In der 12-Millionen-Stadt wiegt der Wegfall westlicher Investitionen am schwersten. Moskau allein würde das 200.000 Jobs kosten, so Sobjanin. Insgesamt 3,8 Millionen Russen haben bisher aus politischen und wirtschaftlichen Gründen das Land verlassen, hat der Geheimdienst FSB bestätigt.
Auch bei Russlands Wirtschaftspartnern sieht man die Wirkung der Sanktionen: Während der Rubel seit Kriegsbeginn – wegen der Politik der russischen Nationalbank – nur zwölf Prozent im Vergleich zum Dollar nachgab, sank der belarussische Rubel um 24 Prozent.
Besonders hart aber treffen die Sanktionen die russische Luftfahrt. Wegen der Sanktionen fehlen Ersatzteile. Ganze Flotten müssen schon am Boden bleiben. Der Billigableger von Aeroflot, Podeba, hat etwa schon ein Drittel seiner Boeing 737 abgestellt. Sie werden quasi als Ersatzteillager genutzt.
Drei Viertel der in Russland eingesetzten Personen-Verkehrsflugzeuge stammen aus westlicher Produktion - wegen der Sanktionen einen fatale Situation. Die gesamte Branche, so viel zeichnet sich jetzt schon ab, dürfte um Jahre zurückgeworden werden.
Selbst wenn es gegen russische Fluglinien keine Strafmaßnahmen in Europa gäbe, dürften 21 von ihnen in der EU nicht mehr landen – aus Sicherheitsgründen.
„Die Sanktionen sollten lang anhaltenden Schmerz verursachen – und das machen sie“, analysiert Sam Greene vom King’s College in London. „Sie unwirksam zu nennen, weil die Moskauer weiter Kaffee trinken können, ist schlicht dumm.“
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