Die fünf großen Lügen in Putins Rede

Russlands Präsident Wladimir Putin
Die Rede des russischen Präsidenten am “Tag des Sieges” war nicht, wie eigentlich üblich, den Veteranen des Zweiten Weltkriegs gewidmet. Putin rechtfertige lediglich die Invasion in der Ukraine – und verdrehte dabei Tatsachen.

Die Generalmobilmachung, die Deklaration eines “echten Krieges”, eine Ausweitung der Operation auf Transnistrien: Das alles war im Vorfeld von Putins Rede am 9. Mai erwartet worden. Verkündet hat der russische Präsident davon nichts, im Gegenteil: Die gesamte Ansprache widmete sich nicht - wie eigentlich seit Jahren üblich - dem Gedenken an gefallene Soldaten im Zweiten Weltkrieg und dem Dank an die Veteranen, sondern diente lediglich als Rechtfertigung für die “Spezialoperation” auf dem Territorium eines Nachbarstaates – der Ukraine.

Benutzt hat Putin dafür Argumente, die sich leicht als falsch entlarven lassen. Hier die wichtigsten fünf Fakten-Verdreher:

Lüge Nummer 1: Die Veteranen

„Amerikanischen Veteranen wurde es verboten, bei der Parade dabei sein“, sagte Putin bei seinem Auftritt auf dem roten Platz. Das ist falsch: Zwar waren US-Veteranen tatsächlich keine da; in den vergangenen Jahren waren sie immer eingeladen und auch auf der Tribüne zu sehen. Nur: Ein offizielles Verbot seitens der USA existiert nicht, wie das Medium Nastojaschtscheee Wremja berichtet.

Putin mag damit wohl zu erklären versucht haben, wieso überhaupt keine internationalen Gäste anwesend waren. Nicht einmal jene Länder, die den russischen Angriff auf die Ukraine nicht verurteilt haben, entsandten Vertreter. Putins Sprecher Dmitrij Peskow begründete das sehr fantasievoll: Es habe keinen Sinn gehabt, jemanden einzuladen, da es sich um keine Parade zu einem runden Jubiläum gehandelt habe – das nächste findet erst 2025 statt. Vor dem Überfall auf die Ukraine waren allerdings jedes Jahr Staatsgäste anwesend.

Lüge Nummer 2: Diplomatie

Er habe den Westen und die NATO zum Dialog eingeladen, um einen Kompromiss im Interesse beider Seiten zu finden, sagte Putin auf dem Roten Platz. Aber sein Angebot sei unbeantwortet geblieben, beklagte er, denn: „Die NATO hatte andere Pläne“.

Welche, lässt Putin freilich offen. Und auch der Vorwurf generell ist falsch: Von Macron über Scholz waren viele westliche Staats- und Regierungschefs in Moskau und ließen sich am langen Tisch demütigen.  Auch die NATO hat das Gespräch gesucht. Die Ukraine – die ohnehin kein NATO-Mitglied ist – hat auch kein Militär auf der Grenze aufgefahren und hat keine Ultimaten gestellt; das war Russland. Moskau forderte, die NATO-Infrastruktur auf die Grenzen von 1997 zurückzufahren – was illusorisch war und auch nichts mit der Ukraine zu tun hatte. Als das nicht passierte, ließ man die Panzer rollen.

Die fünf großen Lügen in Putins Rede

Jährliche Militärparade in Moskau

Lüge Nummer 3: Die Geschichte

Moralische Verderbtheit, Russophobie und Geschichtsfälschung – all das wirft Putin dem Westen gern vor, so auch in seiner Rede am 9. Mai. Allerdings: Alles, was nicht seiner Erzähl- und Sichtweise der russischen Geschichte entspricht, nennt der russische Präsident “Fälschung”. Spricht man in den baltischen Staaten von der “Okkupation” während der Sowjetzeit, nennt der Kreml das schlicht “Russophobie”. Werden in der Ukraine Statuen historischer Personen aufgestellt, ist das für Russland eine “Verehrung von Verrätern”.

Wichtig zu erwähnen ist dabei, dass Russland seine eigene Geschichte schönfärbt. Die NGO Memorial, die seit Jahrzehnten die Verbrechen Stalins aufarbeitete, wurde vor Kurzem deshalb zum „ausländischen Agenten“ abgestempelt und verboten.

Lüge Nummer 4: Die Chronologie

Um den Angriff zu rechtfertigen, behauptet Putin, Kiew habe den Kauf von Nuklearwaffen geplant. Das Thema hat der ukrainische Präsident Selenskij tatsächlich  einmal aufs Tapet gebracht, und zwar bei der Münchner Sicherheitskonferenz am 19. Februar, kurz vor der Invasion. Da erwähnte er allerdings nur das Budapester Memorandum aus dem Jahr 1994, bei dem die Ukraine alle ehemals sowjetischen Atomwaffen an Russland abgab – im Austausch für Sicherheitsgarantien, die auch die territoriale Integrität des Staates absichern sollten. Sieht man sich die Annexion der Krim und den Krieg im Donbass ab 2014 an, wird sichtbar: Russland hat sich daran nicht gehalten - und die Ukraine hat keinerlei Atomwaffen.

Auch Putins Vorwurf, die NATO habe schon vor Kriegsbeginn Lieferungen moderner Kriegsausstattung an Kiew vorgenommen, ist zeitlich falsch. Die großen Lieferungen begannen erst, nachdem Moskau die Panzer rollen hat lassen, schwere Waffen werden erste seit Kurzem geschickt.

Lüge Nummer 5: Die Geographie

Früher nannte Putin den Donbass und die Krim „russische Welt“, weil dort hauptsächlich russisch gesprochen wird. Jetzt bezeichnet er sie als „historisch russisches Land“ – das ist aber auch eine Verdrehung von Tatsachen: Die Krim wurde 1783 von Zarin Katharina der Großen gewaltsam erobert, davor herrschten dort die Griechen, die Ottomanen und die Tataren. Und der Donbass ist nach wie vor Teil der Ukraine, ungeachtet der pro-russischen Separatisten, die Teile von Lugansk und Donezk besetzt halten.

Auffällig für viele Beobachter war übrigens auch ein Faktum, und zwar eine Weglassung Putins. Bei jeder Parade in den vergangenen Jahren sprach der Kremlchef immer über die „Unzulässigkeit“ des Krieges – nur heuer nicht.

Dieser Artikel ist auch auf ukrainisch erschienen:

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