Stichtag für Franziska Giffey: Wird das rote Berlin schwarz?

Stichtag für Franziska Giffey: Wird das rote Berlin schwarz?
Bürgermeisterin Franziska Giffey galt als SPD-Hoffnung. Nach Plagiatsaffäre und Pannenwahl kämpft sie am Sonntag um ihr Amt. Warum sie das trotz Niederlage behalten könnte.

"Arm, aber sexy" – so hat der frühere Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die deutsche Hauptstadt einmal charakterisiert. Arm ist Berlin heute nicht mehr – das Pro-Kopf-Einkommen liegt über dem Bundesschnitt, die Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren deutlich gewachsen; sexy ist Berlin, behaupten böse Zungen, nur mehr für Großstadt-Touristen, kreative Freiberufler und Hipster der Start-up-Szene.

Nur seinen Ruf als bürokratische Chaos-Stadt hat Berlin nie abgelegt. Und seit dem Urnengang voller Pannen vor eineinhalb Jahren ist ihr dieser sicherer als je zuvor: Zwei Wahlen, eine Volksabstimmung und ein Marathon am selben Tag sorgten für stundenlange Warteschlangen vor den Wahllokalen, fehlende Stimmzettel und verspätete Stimmabgaben. Nicht nur die bekannterweise der Hauptstadt nicht wohl gesonnenen, von der Union geführten Bundesländer wie Bayern spotteten darüber.

Deswegen wird morgen Sonntag das Abgeordnetenhaus neu gewählt – mit denselben Kandidaten, sehr wahrscheinlich aber einem anderen Ergebnis: Allen Umfragen zufolge dürfte diesmal die CDU als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen: Laut ZDF-Politbarometer kommt die Union auf 25 Prozent, die SPD auf 21 Prozent und Grüne auf 17 Prozent (Linke: 11 Prozent; AfD: 10 Prozent; FDP: 6 Prozent).

Die amtierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) könnte das historisch schlechteste Ergebnis einfahren – und ihren Negativrekord von 2021 (21,4 Prozent) nochmals unterbieten.

Stichtag für Franziska Giffey: Wird das rote Berlin schwarz?

Giffey und Olaf Scholz: Der Kanzler steht trotz Fall hinter der Genossin.

Giffey, 44 Jahre alt, geboren in der DDR, galt lange als roter Zukunftsstern der SPD – auch für die Bundesebene. Vorzeitig beendet wurde ihr Höhenflug von einer Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit, der nicht nur die Aberkennung des Titels, sondern auch der Rücktritt als Familienministerin folgte. Nur ein halbes Jahr später wurde sie Berliner Bürgermeisterin.

Die "Mutti" Berlins

Bei ihren Auftritten wirkt sie oft förmlich, nicht nur wegen ihrer Neigung für Kostüme – Giffey sei übertrieben fröhlich, ehrgeizig, verkörpere das "Aufstiegsversprechen an die Arbeiterkinder aus dem Osten", heißt es oft. Im Wahlkampf, der von klassischen Berlin-Themen wie Verkehr, Wohnraum-Problematik und dem aufgeblasenen Verwaltungsapparat beherrscht wurde, gab sie sich als Kümmerin, versprach ein 29-Euro-Monatstickets für alle Öffis und leistbaren Wohnraum.

Die Silvester-Krawalle im Bezirk Neukölln, dem Giffey mehrere Jahre vorstand, mit 47 verletzten Polizisten und 15 angegriffenen Feuerwehrleuten machten ihr jedoch einen Strich durch die Rechnung: Sie spülten CDU-Kern-Themen wie Integration, innenpolitische Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung in den Wahlkampf – und in den Umfragen die Union vor die SPD.

Das wäre auch für die Bundes-SPD, die aktuell ohnehin nur bei etwa 19 Prozent herumdümpelt, ein herber Schlag. Von einem "kompletten Desaster für die SPD" will Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin dennoch nicht sprechen. "Ich glaube nicht, dass es zu einer Zerreißprobe zwischen Giffey und Kanzler Olaf Scholz kommen wird", so Reuschenbach.

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Giffey will mit dem Versprechen eines 29-Euro-Monatstickets für den öffentlichen Verkehrt in der Hauptstadt punkten. Kann sie das?

"Einerseits, weil Giffey bei der Wahl 2021 gar nicht in Regierungsverantwortung war, und andererseits, weil auch die Berliner selbst die Wahlwiederholung heute nicht mehr wirklich aufregt. Die scheinen eine gewisse Resignation gegenüber bürokratischen Dysfunktionalitäten in der Hauptstadt entwickelt zu haben." Für die SPD ist das von Vorteil – die aktuellen Prognosen wären sonst wohl noch verheerender.

Trotz Sieg wohl kein CDU-Bürgermeister

Giffeys Platz in der Partei würde wohl nur dann zur Debatte stehen, so Reuschenbach, sollten die Grünen vor der SDP auf Platz zwei landen. Das erschien in den Umfragen der letzten Wochen zeitweise wahrscheinlich; mittlerweile hat sich die SPD auf Platz zwei eingependelt.

Dass Berlin danach schwarz regiert wird, ist dennoch unwahrscheinlich. Denn Giffey dürfte – trotz Niederlage – das aktuelle Bündnis mit Grüne und Linke weiterführen und bis 2026 Bürgermeisterin bleiben; CDU und FDP kämen wohl auf keine Mehrheit. Die Union werde den Regierungsanspruch darum aber nicht aufgeben, sagt Reuschenbach.

Das hat man schon im Vorfeld klargestellt – manch CDU-Abgeordneter orakelte auf Twitter sogar von einem bevorstehenden "Wahl-Klau".

Ein Titel ist Giffey heuer übrigens bereits fix abhanden gekommen: Drei Jahre lang war sie Oldenburger Grünkohlkönigin. Beim traditionellen Grünkohl- und Grützwurst-Essen, dem Berliner Politpromi-Treff, wurde Anfang Februar ihr Nachfolger gekürt: Finanzminister Christian Lindner (FDP).

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