Neue Weltmacht: Müssen wir uns vor China fürchten?
Technologisch führend, geopolitisch auf dem Vormarsch –
löst das autokratische China die USA als Weltmacht ab? Die Expertin Susanne Weigelin-Schwiedrzik liefert Antworten.
Die kommunistische Partei kommuniziert ihr oberstes Ziel ganz klar: Sie will China zur Weltmacht aufsteigen sehen und eine neue Weltordnung etablieren – ohne Vorherrschaft der USA.
Beide Großmächte ringen um Einfluss in der Welt, ihre Rivalität hat sich zuletzt verschärft und dürfte das 21. Jahrhundert prägen. Im KURIER-Gespräch analysiert die Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik Chinas wachsende Rolle in der Welt - und fordert eine eigenständigere europäische Außenpolitik.
KURIER: Die Beziehungen zwischen Europa und China haben dieses Jahr einen gewaltigen Dämpfer erfahren, als die EU im Sommer Importzölle auf chinesische Elektroautos eingeführt hat. China hat damals mit Gegenmaßnahmen gedroht, bisher sind sie ausgeblieben - befürchten Sie, dass dieser Handelskrieg 2025 noch kommt?
Susanne Weigelin-Schwiedrzik: Nein, weil die chinesische Führung der Meinung ist, dass diese Zölle uns Europäern von den Amerikanern aufgezwungen wurden. Außerdem muss China momentan aus strategischen Gründen nachsichtig gegenüber Europa sein.
Die EU ist ja auch davon betroffen, dass Trump in den USA zurückkehrt und im Grunde der ganzen Welt mit Zöllen droht. Die chinesische Regierung möchte das nutzen, um einen Keil zwischen Europa und Amerika zu treiben. Das gelingt aber nur, wenn sie sich jetzt bei ihrer eigenen Reaktion auf die von der EU eingeführten Zölle zurückhalten.
Susanne Weigelin-Schwiedrzik forscht und lehrt seit den 1980er-Jahren zu China. Von 2002 bis 2020 war sie Professorin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Offiziell im Ruhestand, analysiert sie die chinesische Innen- und Außenpolitik regelmäßig in deutschsprachigen Medien.
Ist es nicht auch so, dass sich China einen Handelskrieg gar nicht leisten könnte? Chinas schwächelnde Wirtschaft ist abhängig von Exporten nach Europa.
Natürlich gibt es auch wirtschaftliche Gründe. Die chinesische Wirtschaft produziert einen ständigen Überschuss an Waren, um funktionieren zu können. Es gibt nämlich keine wirkliche soziale Absicherung für Arbeitslose, das gesamte gesellschaftliche System würde destabilisiert werden, wenn viele Menschen auf einmal ihren Job verlieren würden.
China muss also weiterhin möglichst viel nach Europa exportieren, um Arbeitsplätze zu erhalten. Trotzdem halte ich den politischen Grund für wichtiger.
China ist Europa nicht nur im Bereich der E-Autos technologisch überlegen. In manchen Sparten führt China sogar vor den USA, etwa bei der KI-Forschung. Müssen wir uns sorgen, wenn Spitzentechnologie in den Händen eines autokratischen Staats entwickelt wird?
Natürlich, deshalb verteidigen sich vor allem die USA mit allen Mitteln dagegen. Die Imperialforschung, die in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen hat, besagt, dass sich in der Geschichte immer nur jene Länder an der Spitze halten konnten, die ihren Konkurrenten gegenüber technologisch überlegen waren.
Seit dem Ende des Kalten Krieges waren die Amerikaner militärisch, wirtschaftlich und technologisch führend. Momentan aber ist es so, dass China in den Bereichen der industriellen Produktion und der Hochtechnologie für die Zukunft besser aufgestellt ist.
In Europa merken wir deshalb schon jetzt, dass die USA uns dazu drängen, wissenschaftlich nicht mehr mit den Chinesen zu kooperieren und uns am besten wirtschaftlich von China zu entkoppeln.
Also doch nicht die sogenannte EU-Strategie des “De-Risking”, sondern doch die alte Formulierung des “Decoupling”?
Das ist es zumindest, was die Amerikaner gerne sehen würden. Dieses Decoupling schwächt unsere europäische Wirtschaft aber so sehr, dass man wirklich Angst vor der Zukunft haben muss.
Wie sollte Europa Ihrer Meinung nach vorgehen?
Wir müssen einen Weg finden, zwischen den verschiedenen Großmächten, also vor allem den USA, China und Russland, eine Mittelposition einzunehmen, die unseren Interessen entspricht. Das erfordert viel diplomatisches Geschick und geht nur mit einer gewissen Härte.
Ich glaube, Europa kann in einer sogenannten multipolaren Welt nur bestehen, wenn es sich gewissermaßen an der Schwächung der USA beteiligt, sonst bleiben wir für immer an einen Partner gebunden, der uns völlig überlegen ist.
Eine multipolare Weltordnung, also ohne die USA als Supermacht, ist das erklärte Ziel Pekings. In den letzten Jahren haben sich einige Länder des „Globalen Südens“ antidemokratisch entwickelt und China zugewandt. Liegt das am chinesischen Einfluss oder profitiert China hier nur von einem Trend?
Ich glaube, dass durch die momentane Unordnung in der Welt auch die Unordnung in jenen Ländern, die weniger gut entwickelt sind, besonders stark wächst. Das ist natürlich eine Bedrohung für die dortigen Eliten, weshalb sie zu dem Schluss kommen, dass sie die Stabilität in ihrem Land nur mit Zwang und Autokratie wahren können.
Wenn man in diese autokratische Richtung geht, hat man es mit den Chinesen als Partner einfacher als mit den Amerikanern.
Viel ist momentan von der “Achse der Autokraten” zu lesen: China, Russland, Iran, Nordkorea. Ist das ein geeinter Block oder nur eine lose Gruppe von Staaten mit dem gemeinsamen Wunsch nach einer neuen Weltordnung?
Je mehr wir der Meinung sind, dass sie zusammengehören, je stärker sie sich bedroht fühlen, umso mehr werden sie sich zusammenschließen. Die Sanktionspolitik gegenüber dem Iran hat zum Beispiel dazu geführt, dass sich dessen Handelsbeziehungen mit China verstärkt haben.
Trotzdem muss man sagen, dass es wohl dem Zureden der Chinesen und Russen geschuldet ist, dass der Iran gegenüber Israel verhältnismäßig zurückhaltend reagiert hat. Insofern muss man sagen: Ja, diese Staaten sind allesamt Autokratien, aber sie haben nicht immer dieselben Interessen.
Wie geht man dann mit diesen Autokratien richtig um?
Was wir im Westen wieder lernen müssen, ist, Politik zu machen, die in erster Linie unseren Strategien und Interessen entspricht - und nicht unseren Werten. Wenn wir mit autokratischen Staaten nicht mehr reden, sie militärisch bedrohen, dann wird sich diese Phalanx an Ländern zusammenschließen und für uns zur Bedrohung werden.
Wenn wir aber eine realistische Haltung gegenüber diesen Ländern einnehmen und die Gesprächskanäle offenhalten, dann werden sie erkennen, dass sie uns brauchen, um ihre Stabilität zu wahren - so wie wir sie in bestimmten Situationen brauchen, um unsere zu wahren.
Für viele Experten ist die Rivalität zwischen China und den USA der entscheidende Konflikt des 21. Jahrhunderts. Unter Joe Biden war die Beziehung am Tiefpunkt. Glauben Sie, dass sich das Verhältnis unter Donald Trump verbessern kann?
Es gibt zumindest erste Signale. Trump hat Xi Jinping ja zu seiner Amtseinführung in Washington eingeladen. Ich glaube aber nicht, dass das heißt, dass er in Zukunft beste Beziehungen zu China anstrebt; sondern er möchte mit Xi persönlich aushandeln, ob man Putin nicht dazu bringen könnte, den Krieg in der Ukraine aufzugeben.
Das wäre clever, denn wenn das nicht gelingt, kann Trump den Chinesen die Schuld dafür geben, dass er sein Versprechen, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden, nicht halten konnte.
Glauben Sie, China wird die USA als Weltmacht ablösen?
Nein, ich halte das für noch nicht geklärt. Das politische System in China ist nach außen hin stark, aber nach innen hin fragil, es könnte jederzeit innerhalb von 24 Stunden zu einer erheblichen Destabilisierung kommen. Zudem könnte ein militärisches Abenteuer gegenüber Taiwan durchaus scheitern. Das würde dazu führen, dass das politische System in China zusammenbricht.
Das weiß die chinesische Führung auch – und scheint deshalb der Meinung zu sein, dass man vorerst mit den USA koexistieren muss. Und dabei haben die Chinesen gelernt, dass es von Vorteil ist, mit Russland zusammenzuarbeiten.
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