Regierung: Wild wuchernde Millionen für den ORF

525.000 Haushalte und 100.000 Unternehmen werden künftig zusätzlich für den ORF zahlen
ORF-Novelle im Ministerrat beschlossen, Nationalrat soll vor der Sommerpause folgen. Private Medien üben weiterhin heftige Kritik

Es ist ein erster Beschluss, aber definitiv noch nicht das Ende der Debatte: Am Mittwoch hat die Regierung aus ÖVP und Grüne im Ministerrat die seit Monaten wild umfehdete ORF-Novelle abgesegnet. Die Regierungsvorlage wurde in den Nationalrat eingebracht und dem Verfassungsausschuss zugewiesen. Ein Beschluss kann damit noch vor der Sommerpause erfolgen. Kurios: Im Verfassungsausschuss wird zeitgleich auch das Volksbegehren „GIS Gebühren abschaffen“ behandelt.

Ist der Regierung die Medienvielfalt wirklich so egal?

„Der ORF wird audiovisueller, moderner, flexibler und jünger, gleichzeitig wird der heimische Medienstandort mit entsprechenden Spar- und Ausgleichsmaßnahmen gesichert“, erklärte Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) in einem der APA übermittelten Statement. Zusammen mit den Grünen habe man ein Paket geschaffen, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für die Menschen günstiger mache und die Medienvielfalt in Österreich erhalte, so Raab.

Heftige Kritik

Private Medienhäuser und Verbände kritisieren die Novelle scharf. VÖZ-Präsident Markus Mair bezeichnete sie in einer Aussendung als „kurzsichtige Entscheidung mit gravierenden Folgen für den privaten Medienmarkt“. Das heimische duale Mediensystem werde leichtfertig aufs Spiel gesetzt. „Solange ein Onlinenachrichtenportal ein Produkt zur Verfügung stellt, das de facto eine Tageszeitung ist, aber vermeintlich ,kostenlos’ zugänglich ist, ist das ein großes Hindernis für die digitale Transformation der privaten Medien verlegerischer Herkunft“, so Mair mit Blick auf ORF.at. Eine Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel gilt als fix.

Verfassungsausschuss
Am Mittwoch wurde die Regierungsvorlage im Nationalrat eingebracht und dem Verfassungsausschuss zugewiesen. Der Verfassungsausschuss tagt am 20. Juni von 9 bis 13 Uhr. Auf dessen Tagesordnung wird nicht nur das ORF-Gesetz stehen, sondern u. a. auch das Volksbegehren „GIS Gebühren abschaffen“.

Plenumsbeschluss
Ins Nationalratsplenum kommt das ORF-Gesetz in der Julisitzung zwischen dem 5. und dem 7. Juli. Dort wird das Gesetz debattiert und beschlossen. Abänderungsanträge sind bis zum Schluss möglich. Danach ist der Bundesrat am Zug.

 

NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter sieht in der ORF-Novelle eine „vergebene Chance“. Ohne Gremienreform, ohne Schärfung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrages und ohne klare Antworten auf die Frage, was der ORF machen darf und was nicht, würde die schwere Krise der Medien nur verschärft. „Am Ende bekommen die Bürgerinnen und Bürger mehr vom nach wie vor politisch kontrollierten ORF und weniger Medienvielfalt.“

Mehr als 5.000 Stellungnahmen gab es im Zug der Begutachtungsphase. Eingeflossen ist davon herzlich wenig. Die wichtigste Neuerung ist, wie berichtet, der neue ORF-Beitrag von 15,30 Euro je Monat und Haushalt (statt 18,59) ab 2024. Auch fallen diverse Bundesabgaben weg. Damit ist die Vorgabe der Medienministerin, der ORF müsse für bisherige Gebührenzahler billiger werden, umgesetzt. Ein Spruch des Verfassungsgerichtshofs, der die bisherige GIS kippte, hat eine neue Form der ORF-Finanzierung notwendig gemacht. Die Beitragshöhe ist bis inklusive 2026 fix.

Mehr Zahler

525.000 Haushalte und 100.000 Unternehmen werden mit dem Beitrag zusätzlich zu Zahlern. Für 200.000 „Radio-Haushalte“ wird es teurer. Wer GIS-befreit war, bleibt befreit, ausgenommen sind nun auch Zweitwohnsitze.

In Summe dürfte der Beitrag dem ORF Einnahmen von etwa 710 Millionen Euro bringen. Da die Kosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags – nur die dürfen laut EU-Vorgaben mit „Steuern“ abgedeckt werden – für 2024 auf 682,4 Mio geschätzt werden, kommt der Rest auf ein Sperrkonto für die Folgejahre. Zusätzlich kompensiert der Bund dem ORF den Verlust des Vorsteuerabzugs mit jährlich 70 bis 90 Millionen bis 2027.

Eingehoben werden soll der Beitrag „weitgehend automatisiert“ inklusive Abgleiche mit dem Zentralen Melderegister und der Transparenzdatenbank, was in der Verwaltung Einsparungen bringen soll. Die Umsetzung dessen ist offen.

Auch der ORF muss seinen Beitrag leisten: Erwartete Kostensteigerungen bis 2026 von 325 Millionen muss man aus sich heraus finanzieren. Man befürchtet Personalabbau und Kürzungen bei Produktionen. Zudem muss der ORF über schärfere Transparenzbestimmungen Top-Verdiener offenlegen und Werbebeschränkungen akzeptieren. Letztere halten die Privatsender aber für weiterhin nicht ausreichend.

Viel Digital

Die Novelle bringt dem ORF aber auch eine Ausweiterung im Online-Bereich – und der Regierung deshalb jede Menge Kritik privater Medien. Der ORF darf künftig nur für online bzw. online-first produzieren.

Auf ORF.at wird die Textbeitragszahl auf 350 pro Woche beschränkt und Bewegtbild ausgebaut. Der Verband Österreichischer Zeitungen kritisiert aber die weiter gegebene Zeitungsähnlichkeit von ORF.at. Zur Dokumentation druckte man jüngst aus den dort veröffentlichten Meldungen eines Tages eine Zeitung und legte die u. a. Ministerin Susanne Raab (ÖVP) vor. Auch der Verband Österreichischer Privatsender (VÖP) sprach sich für Einschränkungen aus.

Ausgeweitet wird, je nach Inhalt, der Zeitraum für Abrufe in der TVthek. Der ORF darf zudem einen Online-Kinderkanal anbieten, ORF Sport + wird bis 2026 in einen digitalen Kanal übergeführt. Mit Bundesmitteln wird das ORF-Orchester bis 2026 gesichert.

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