ORF-Gesetzes-Novellen: Zeitungsverband will EU-Kommisson einschalten

ORF-Zentrum
"Faire Verhandlungen sehen anders aus." Kritik auch von Privatsendern, Rechnungshof und Privatpersonen

Mehr als 4200 Stellungnahmen zu Gesetzes-Novellen den ORF betreffend sind bis Ende der Begutachtungsfrist am Donnerstag auf der Parlamentsseite eingegangen. Vielfach stammen sie von Privatpersonen. Gabriele Schlögl etwa formuliert dort: „Ich lehne eine Zwangsabgabe auf etwas, dass ich nicht konsumieren möchte ab! Völlig undemokratisch!! Außerdem keine objektive Berichterstattung, Nichterfüllung des Bildungsauftrages etc…!!“ Melanie Müller-Hörnstein führt u. a. aus: „Wäre der ORF ein so qualitätsvolles Medium mit ordentlichem, freiem, investigativem Journalismus (in den letzten 3 Jahren hat der ORF eindrucksvoll bewiesen, dass er das eben nicht ist), müsste er nicht zwangsweise Gebühren aufdrücken.“

Naheliegend ist, dass keiner der, geschätzt, mehr als 1,5 Millionen sich auf der Parlamentsseite meldet, weil man künftig über die neue, nun ORF-Beitrag genannte Haushaltsabgabe von 15,30 Euro weniger zahlen wird, als davor mit der GIS für TV und Radio. Bisherige Gebührenbefreiungen bleiben übrigens aufrecht, Nebenwohnsitze sind ausgenommen sind und eine Staffelung für Unternehmen tritt in Kraft.

Mehr lesen: "ORF-Zeitung": VÖZ bringt ORF.at zu Papier

Unrichtige Behauptungen

Nicht zufrieden sind aber auch Institutionen. Der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) fährt schwere Geschütze auf: „Faire und offene Verhandlungen mit den Stakeholdern sehen definitiv anders aus“, heißt es in seiner Stellungnahme. Man hält gleich „eingangs fest, dass die wiederholte Behauptung von Vertretern der Bundesregierung, darunter auch der Bundeskanzler, dass ,im Vorfeld intensiv mit den Verlegerinnen und Verlegern verhandelt‘ worden sei, (…) soweit es unseren Verband und seine Mitglieder betrifft jedenfalls unrichtig ist.“

Grundsätzlich kritisiert man, „dass die Bundesregierung völlig einseitig einen Ausbau des ORF-Digitalangebots und damit der ohnehin bereits dominanten Position des ORF im Bereich Onlinemedien und Onlinewerbung betreibt, ohne relevante Gegenmaßnahmen zur Sicherung eines dualen Mediensystems mit fairen Wettbewerbsbedingungen vorzusehen.“

EU-Beihilfenverfahren

Die Reaktion darauf des VÖZ: Man kündigt bereits den erneuten Gang zur EU-Kommission nach Brüssel an. Dies sei „nunmehr unausweichlich“, denn man ortete eine „unionsrechtswidrige Quersubventionierung von ORF-Presseberichterstattung mit Rundfunkentgelten“. Damit seien Zusagen der Regierung, die das erste EU-Beihilfenverfahren 2009 beendet hatten, nicht eingehalten worden. Dies zielt insbesondere auf die sogenannte blaue Seite orf.at und den Umfang der Berichterstattung dort.

Zudem fordert der VÖZ eine „Überarbeitung des bestehenden öffentlich-rechtlichen Auftrags“ sowie eine „echte Strukturreform zur Kostensenkung.“ Die tägliche Überblicksberichterstattung online müsse zukünftig aus audiovisuellen Beiträgen (dh Videocontent) bestehen. Begleittexte seien auf 300 Zeichen zu beschränken. Online Only Inhalte müssten weiterhin konkreten Programmbezug aufweisen. Online-Werbung müsse beschränkt, Product- und Themenplacing untersagt werden. Zudem fordert man eine paritätische Schlichtungsstelle nach deutschem Vorbild.

Einseitige ORF-Absicherung

Wenig Positives findet auch der Verband der Privatsender (VÖP) am Gesetzespaket.  Dessen Gesamtbewertung ergebe,  dass „die einseitige
Absicherung und Stärkung des ORF den österreichischen Medienmarkt insgesamt schwächt und damit letztlich die Vielfalt, die Qualität und die Rolle der Medien für das Funktionieren der Demokratie in Österreich gefährdet.“ Man sieht eine Ausweitung des Finanzspielraums des ORF durch die neue Haushaltsabgabe samt Überkompensation der Kosten des öffentlich-rechtlichen Auftrags.

Für den VÖP ergibt sich daraus eine „Notifizerungspflicht“ für das gesamte Gesetzespaket. Nach deren Auffassung müsste dieses also erst der EU-Kommission zur Genehmigung vorgelegt werden. Das würde eine Beschlussfassung deutlich verzögern. Kritisiert wird vom VÖP ebenfalls, dass keine Konkretisierung des öffentlich-rechtlichen Auftrags erfolgt und der Spielraum für Online-Aktivitäten massiv ausgeweitet wird. Erneut fordert man nachhaltige Werbebeschränkungen ein.

Fehlende Klarstellung

Auch beim Rechnungshof (RH) entzündet sich Kritik daran, dass die umfangreichen gesetzlichen Änderungen nicht genutzt wurden, „um die grundsätzliche Frage nach den wesentlichen Inhalten und Formaten eines öffentlich–rechtlichen ,Programmauftrags‘ klarzustellen. Die durchschnittlichen Nettokosten des – unveränderten – öffentlich–rechtlichen Auftrags werden für die Jahre 2024 bis 2026 werden in den Gesetzes-Erläuterungen mit 710 Mio. EUR jährlich beziffert. Der RH könne aufgrund der Komplexität der Neuregelungen nicht beurteilen, ob die Annahmen dazu zutreffen.

„Aus Sicht des RH sollte der Gesetzgeber ein ausgewogenes, gesamthaftes System der Medienförderung auf Grundlage von nachvollziehbaren Qualitätsstandards entwickeln, das die Medienvielfalt für den privaten Bereich sicherstellt“, heißt es in der Stellungnahme weiter.

Keine Entpolitisierung

Die Redaktionsvertreter des ORF wiederum monieren, dass es im Zuge der Novellen zu keiner Reform und keiner Entpolitisierung der ORF-Gremien kommt. Unverändert bleibt auch das Anhörungsrecht der Bundesländer bei Besetzungen der Landesdirektionen. „Obwohl mehrere Landeshauptleute sich öffentlich für eine Abschaffung ausgesprochen haben, soll offenbar diese Form der politischen Mitbestimmung von ORF-Führungsfunktionen weiter bestehen bleiben", kritisieren die Redakteure.

Alarmierte Datenschützer

Datenschützer halten es für fraglich, ob die vorgesehen Veröffentlichung  der Bruttogehälter von ORF-Mitarbeitern ab einer gewissen Höhe (170.000 Euro Jahresgehalt) zulässig ist. Man verweist auf die entsprechende Judikatur von Verfassungsgerichtshof und Europäischen Gerichtshof, dass dem das Recht auf Datenschutz entgegenstehen könnte. „Es wird daher angeregt, die angestrebten Veröffentlichungspflichten einer nochmaligen Überprüfung zu unterziehen.“ Auch Arbeiterkammer und ÖGB lehnen die Veröffentlichungen ab und kritisieren auch geplante Eingriffe in arbeits- und kollektivvertragliche Ansprüche.

In Bezug auf Zugang der künftigen ORF-Beitrags-GmbH, derzeit noch GIS, zu Meldedaten und Transparenzdatenbank, wird eine pauschale Einsichtsermächtigung kritisiert. Die Datenschutzbehörde erinnert, Eingriffe in das Grundrecht dürften jeweils nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden dürfen. Diesbezüglich müssten Gesetze „ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw. die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben zulässig ist.

Kritische Wirtschaft

Die Industriellenvereinigung (IV) spricht sich gegen eine Steigerung der ORF-Abgabe für Unternehmen aus. Staffelungen und Maximalzahl der zu entrichtenden ORF-Beiträge sollen überarbeitet werden. Dafür spricht sich auch die Wirtschaftskammer (WKO) aus, die einen „erheblichen Umfang an Mehrbelastungen für Unternehmen“ gegeben sieht und hofft, dass Wirtschaft und Unternehmen zukünftig eine größere Rolle im ORF-Programm spielen.

Die Arbeiterkammer (AK) betont, dass die Haushaltsabgabe sozial ausgewogen sein müsse. Mit Blick auf die gesellschaftliche Akzeptanz des ORF-Beitrags sollten Wenigverdiener eine reduzierte Beitragshöhe entrichten müssen. Die Bundesjugendvertretung (BJV) drängt auf Beitragsbefreiungen für junge Menschen. Das Verteidigungsministerium spricht sich für eine Ausnahme von der Beitragspflicht für Grundwehr- und Zivildiener aus, sofern diese bereits einen eigenen Wohnsitz haben.

Kommentare