Zwei Jahre Corona in Österreich: Wo ist der Chef?
Gert Korentschnig
19.02.22, 18:00Dass ein Leitartikel wie dieser heute erscheint, hätte im Februar 2020, als sich der Anlass dafür ereignete, niemand für möglich gehalten. Bereits zwei Jahre befinden wir uns in einem pandemischen Ausnahmezustand – eine Zumutung, physisch, psychisch, ökonomisch. Und politisch: Akut scheinen alle Parteien Panik vor einer Truppe von Emporkömmlingen zu haben, deren Konzept sich in einer radikalen Anti-Haltung erschöpft. Wenn schon „MFG“, dann von den Fantastischen Vier, aber nicht in politischen Gremien.
Aktuell erstrahlt das Licht am Ende des Tunnels zwar hell wie nie zuvor, eine Garantie, dass der böse Zauber bald vorbei ist, ist das aber keinesfalls. Trotzdem gelten ab sofort weniger strenge Maßnahmen, in zwei Wochen laufen sogar fast alle aus. Nur Wien bleibt härter, was zeigt, wie absurd die Situation längst ist – offenbar kann das Virus Ortstafeln lesen. Wäre nicht alles so ernüchternd, hätten die Freiheitsrufe nicht von allen Seiten einen schalen Beigeschmack – der immer wieder abgeänderte Maßnahmenkatalog könnte als größtes Satireprojekt in die Geschichte eingehen, nicht nur in Österreich.
Welche Vorschriften nun sinnvoll sind (und welche überhaupt gelten), darüber herrscht Uneinigkeit (und Ratlosigkeit). Wenden wir uns also lieber der ebenso komplexen Frage zu, wie die Entscheidungsprozesse abliefen bzw. -laufen. Zu Beginn der Pandemie (aufmerksame Leser werden sich an Kanzler Kurz und das virologische Quartett erinnern) fällte die Regierungsspitze die Entscheidungen öffentlichkeitswirksam und de facto selbst. Mit zunehmender Dauer der Krise wurde der Ruf nach Experten lauter – plötzlich war Österreich nicht nur ein Land voller Teamchefs und Operndirektoren, sondern auch eines der Virologen.
Mit Kanzler Nehammer und der Gründung der Gecko-Kommission wurden die Entscheidungen dann endgültig ausgelagert, dadurch aber nicht klarer. Wie man’s macht, ist’s also falsch. Mittlerweile hat man jedenfalls das Gefühl, dass weder die Regierung, noch ein Expertengremium die Beschlüsse fasst, sondern alles der Stimmung in der Bevölkerung geschuldet ist.
Der Wähler ist der Souverän – selten war dieser Spruch so richtig. Ist er für die Aufhebung von Maßnahmen, werden sie aufgehoben. Kippt die Stimmung bei der Impfpflicht, wird sie zumindest halb gekippt und zahnlos. Allerdings resultiert diese Verlagerung der Macht nicht aus einem besonderen Demokratiebewusstsein, sondern aus der Angst vor Wahlniederlagen. Corona und Populismus sind benachbarte Viren, weder die Regierung, noch die Opposition ist immun.
„Wo ist der Chef dieser seltsamen Anstalt?“, sang Franz Morak vor 40 Jahren vom Eingesperrtsein, allerdings hinter Gittern. Die Frage per se ist aber nach wie vor angebracht, wenn die heiße Kartoffel so hin- und hergeworfen wird.
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