Serbische Vizepremierministerin: "EU ist unser Schicksal, nicht Russland"

Serbische Vizepremierministerin: "EU ist unser Schicksal, nicht Russland"
Zorana Mihajlović räumt im KURIER-Interview mit allen Zweifeln auf, wohin der Weg ihres Landes gehen soll.

Zuletzt hat eine hochrangige serbische Politikerin für Aufsehen gesorgt. Zorana Mihajlović, Vizepremierministerin und Ministerin für Energie und Bergbau, kritisierte offen Russlands Umgang mit Serbien. Im Rahmen einer von der Serbischen Wirtschaftskammer organisierten Pressereise sprach der KURIER mit der 52-Jährigen unter anderem über den Weg, den Serbien künftig gehen will.

KURIER: Energieversorgung ist das Thema, das uns gerade alle beschäftigt. Was sind derzeit Serbiens größte Probleme diesbezüglich?

Zorana Mihajlović: Es ist eine sehr schwierige und komplizierte Zeit für uns alle. Wir haben in Serbien viele Probleme im Energiesektor. Wir hatten auch vor der aktuellen Krise einige Probleme gehabt. Nun haben wir nach Covid auch noch den Angriff Russlands auf die Ukraine und den großen Druck auf Serbien, weil wir, wie Sie wissen, die Sanktionen gegen die Russische Föderation nicht verhängt, aber sehr wohl für die UNO-Resolution gestimmt haben. Wir importieren unser Gas zu 100 Prozent aus der Russischen Föderation und das ist das Hauptproblem. Wir haben uns in der Vergangenheit nicht um Alternativen bemüht.

Ist es dafür zu spät?

In diesem Jahr haben wir mit dem Bau einer Verbindungsleitung zwischen Serbien und Bulgarien begonnen und versuchen so, unseren Gassektor zu diversifizieren. Ich denke aber, der kommende Winter wird für jedes Land, für jeden Energieminister europaweit sehr hart werden. Wir haben einen Dreijahresvertrag mit Russland, der uns zwei Milliarden Kubikmeter Gas jährlich zusichert. Das reicht uns aber nicht, denn wir haben einen Bedarf von 3,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr.

Wie wollen Sie diesen Bedarf decken?

Wir haben einen Untergrundgasspeicher in Ungarn geleased, wo wir eine halbe Milliarde Kubikmeter gelagert haben. Zudem haben wir hier in Serbien ein unterirdisches Lager, das wir uns mit Gazprom teilen. Darin befinden sich aktuell 280 Millionen Kubikmeter Gas. Rechnet man alles zusammen, kommt man zu dem Schluss, dass unsere Vorräte nicht bis zum Ende der Heizsaison Ende März ausreichen. Wir gehen davon aus, dass wir bis dahin Gas importieren werden müssen. Das wird uns mindestens eine Milliarde Euro kosten, wobei die Summe natürlich viel höher ausfallen kann. Das wird nicht einfach mit unserem Budget. Wir haben ja in diesem Jahr bereits fast 1,5 Milliarden Euro für den Import von Strom und Gas ausgegeben.

Wie soll es nach dem Winter weitergehen?

Die angesprochene Verbindungsleitung zu Bulgarien, deren Kapazität 1,8 Milliarden Kubikmeter beträgt, soll mit dem Gas aus Aserbaidschan gefüllt werden. Wir befinden uns in Gesprächen mit den Aseris. Ab September 2023 sollte Serbien 40 Prozent seines Gasbedarfs mit nicht-russischem bzw. aserbaidschanischem Gas decken. Das ist aktuell unser wichtigstes Projekt im Gassektor.

60 Prozent russisches Gas bleiben dennoch …

Das ist noch nicht alles. Für uns ist es wichtig, regionale Verbindungen zu unseren Nachbarländern zu bauen. Wir arbeiten mit Nordmazedonien an der Verbindungsleitung mit einer Kapazität von mehr als einer Milliarde Kubikmeter Gas. Wir erwarten hierfür auch Geld von der Europäischen Union, führen entsprechende Gespräche. Wir arbeiten auch an einer Verbindungsleitung nach Rumänien und streben auch Gespräche mit Kroatien an. Sie wollen die Kapazität ihres LNG-Terminals auf der Insel Krk erhöhen werden. Das ist sehr wichtig für uns. Zudem werden wir auch in Albanien ein Teil ihres neuen LNG-Terminal-Projekts sein. Ein entsprechendes Memorandum haben wir vor wenigen Tagen unterzeichnet. Wir haben also einen Plan und wissen, was wir tun müssen.

Die Energiekrise hilft also, gebrochene Beziehungen innerhalb der Region aufzubauen?

Das ist wahr. Ich weiß nicht, warum wir früher nicht an Verbindungsleitungen in der Region gearbeitet haben. Das ist für uns von enormer Bedeutung. Wir sind ein kleines Land, aber wir haben eine großartige geostrategische Lage. Also, ja, die Krise hat uns hier in der Region zusammenrücken lassen. Trotz aller Probleme, die uns bedrücken, versuchen wir hier, eine Energiewende einzuleiten. Die hiesigen Firmen sind aber dagegen, wollen aufgrund von niedrigeren Kosten bei der Kohle bleiben. Das ist ein großes Problem für die geplante Energiewende.

Sind die Menschen in Serbien noch nicht so weit für diese Art von Veränderungen?

Es gibt viele Hindernisse bei der Umsetzung der Energiewende, aber auch im Bergbau. Es ist zum Beispiel sehr schade, dass wir das Projekt der Exploration und potenziellen Ausbeutung von Lithium eingestellt haben. Manche politischen Kräfte haben es darauf ausgelegt, den Lithiumabbau als etwas ganz Böses darzustellen. NGOs wurden mobilisiert. Die meisten wissen aber nach wie vor nicht, wie wichtig Lithium nicht nur für Serbien, sondern für ganz Europa ist.

Westeuropa beobachtet mit Interesse, welchen Weg Serbien gehen wird. Ihre Kritik am russischen Außenminister Sergei Lawrow ist deshalb nicht unbemerkt geblieben. Wie gefährlich ist der angestrebte EU-Kurs Serbiens in Wahrheit?

Eines ist klar: Der europäische ist unser Weg. Das ist aber nicht so einfach hier. Laut öffentlichen Umfragen haben die Menschen das Gefühl, die Europäische Union würde zu viel von Serbien verlangen und die Freunde seien im Osten daheim. Die Regierung betont aber tagtäglich, dass unser Weg nur Richtung EU gehen kann. Wir wollen europäische Standards. Allerdings war es zu diesem Moment unmöglich, Sanktionen gegen Russland zu verhängen – obwohl wir gegen den Krieg sind. Es ist also nicht einfach und der Druck des Westens wird mit Sicherheit wachsen. Wir werden sehen, wie die neue Regierung, die in den kommenden Tagen stehen sollte, darüber entscheiden wird.

Russland auf der einen Seite, EU auf der anderen, dazu noch regionale Initiativen wie Open Balkan. Was aber wollen die Menschen selbst? Glauben sie, dass Serbien allein in diesem globalen Wettbewerb bestehen kann?

Doch, sie glauben daran. Die Menschen glauben wirklich, dass Serbien allein überleben und überhaupt eine Wahl hätte. Der Gedanke eines offenen Balkans taugt ihnen, weil sie denken, dass wir alle hier in der Region gleich sind. Und ja, die EU-Fürsprecher sind weniger geworden, aktuell spricht sich weniger als die Hälfte der Bevölkerung für einen EU-Beitritt aus. Hauptgrund ist, dass sie denken, die Europäische Union würde zu viel von ihnen – unter anderem auch eine Anerkennung von Kosovos Unabhängigkeit - verlangen.

Serbische Vizepremierministerin: "EU ist unser Schicksal, nicht Russland"

Fakt ist aber, dass ein kleines Land wie Serbien in diesen Zeiten allein nicht überleben kann.

Absolut. Wir müssen in die Europäische Union, das ist der einzige Weg. Europa ist unser Schicksal. Ein Beispiel, das jedem zu denken geben sollte: Wenn man die Leute fragt, wo sie ihre Kinder zum Studieren schicken wollen, dann antwortet keiner mit Russland oder China, sondern Westeuropa oder USA. Das ist ein Fakt. 

Die Serben sehnen sich also …

… nach einem besseren Leben, nach Stabilität. Die Leute wollen hier wirklich besser leben. Dafür sollten auch die Politikerinnen und Politiker in diesem Land auch mehr an die Leute denken und nicht immer nur an die Politik.

Kommentare