"Kommandant Wolf" soll seine Landsleute im Kosovo gefoltert haben
In Den Haag hat vor dem Kosovo-Tribunal ein heikler Prozess begonnen. Auf der Anklagebank sitzt ein gewisser Pjetër Shala. Der heute 59-Jährige soll während des Kosovo-Krieges im Frühjahr 1999 an "illegaler Folter und Mord" beteiligt gewesen sein. Bei seinen Opfern soll es sich aber nicht etwa um Serben handeln, sondern kosovo-albanischer Zivilisten handeln, die der Kollaboration mit Serben und der Spionage beschuldigt wurden. Das frühere Mitglied der Kosovo-Befreiungsarmee (UÇK) bestreitet seine Schuld. "Das ist alles frei erfunden", plädierte der mutmaßliche Kriegsverbrecher vor dem Sondergericht.
Shala wurde 2021 in der belgischen Stadt Antwerpen festgenommen und dem Tribunal in Den Haag übergeben. Ihm werden vier Fälle von Kriegsverbrechen vorgeworfen. Mindestens 18 Menschen soll er “illegal festgehalten, diese grausam misshandelt haben und an der Ermordung einer Person beteiligt gewesen sein”, hieß es vom Chefankläger Alex Whiting. Sein Fall ist der zweite Prozess vor dem Sondergericht. Im Dezember vergangenen Jahres wurde der ehemalige UÇK-Kommandant Salih Mustafa zu 26 Jahren Haft verurteilt.
Metallfabrik als Internierungslager
Die Anklage beschuldigt Shala, der im Krieg unter dem Kampfnamen "Kommandant Wolf" bekannt wurde, von Mai bis Juni 1999 in der nordalbanischen Stadt Kukës Menschen festgehalten und gefoltert zu haben. Gemeinsam mit anderen UÇK-Kämpfern hätte Shala dort eine frühere Metallfabrik provisorisch als Internierungslager verwendet. Einer der Gefangenen habe die Folter nicht überlebt, erklärte die Anklage.
Es ist nicht das erste Mal, dass "Kommandant Wolf" in Verbindung mit Kriegsverbrechen gebracht wird. Ihm wurde 2005 und 2007 in einer Anklage des ICTY vorgeworfen, Teil einer "gemeinsam kriminellen Unternehmung" gewesen zu sein.
Ob und wann es in seinem Prozess zu einem Urteil kommt, ist unklar. "Wir sind überzeugt, dass die Beweise, die während dieses Prozesses vorgelegt werden, zweifelsfrei belegen werden, dass Herr Shala für die in der Anklageschrift aufgezählten Verbrechen strafrechtlich verantwortlich ist", erklärte Whiting. Dieser sagte auch, dass Shala die Häftlinge brutal mit einer Eisenstange geschlagen und sie "blutig, an Knochenbrüchen leidend oder gehunfähig" zurückgelassen haben soll.
Der Prozess gegen Shala wird am 27. März wieder aufgenommen. In der Zwischenzeit wird sich der ehemalige Staatspräsident Hashim Thaçi und UÇK-Kommandant ebenfalls in Den Haag verantworten müssen. Thaçi werden übrigens dieselben Verbrechen wie Shala angelastet.
Erkämpfte Unabhängigkeit
Die UÇK hatte von 1998 bis 1999 für die Unabhängigkeit des Kosovo, das zu der Zeit noch immer Teil von Jugoslawien war, gegen serbische Truppen gekämpft. Mehr als 10.000 Menschen, vorwiegend Albaner, wurden getötet, eine halbe Million Menschen vertrieben.
Eine NATO-Intervention erzwang den Rückzug der serbischen Streitkräfte und damit auch das Ende des Konflikts. Der Kosovo konnte 2008 seine Unabhängigkeit erklären, welche in Serbien weiterhin geleugnet wird.
Umstrittene Vergangenheitsbewältigung
Das Sondergericht wurde 2015 auf ein Abkommen zwischen der EU und dem Kosovo hin gegründet und soll zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit beitragen. Es ist mit internationalen Richtern und Anklägern besetzt und wurde aus Sicherheitsgründen nach Den Haag verlegt, weil Zeugen Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt waren. Im Kosovo ist es verrufen, weil sich die Anklagen gegen kosovo-albanische Freiheitskämpfer richten und nicht gegen die serbischen Täter der meisten Kriegsverbrechen von 1998/99. Der Bevölkerung hätte das suggeriert, dass die serbischen Kriegsverbrecher der Gerechtigkeit entkommen würden. Diese wurden aber vor dem Internationalen Kriegstribunal für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) verfolgt.
Mit der Eröffnung des Tribunals wurde von einem "neuen Zeitalter für Kosovo" gesprochen, weil sich damit der jüngste Staat Europas der Vergangenheitsbewältigung widmen kann. Die Verurteilung von Kriegsverbrechern sei ein wichtiger Punkt, um auch die Beziehungen zum Nachbarland Serbien zu verbessern - so auch im Prozess um Shala.
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