Freigeist und Design-Utopistin Charlotte Perriand
Charlotte Perriand: Ihre Entwürfe sind wohl berühmter als ihr Name. Laure Adlers Biografie der französischen Designerin, Fotografin und Architektin könnte das nun ändern und diese erstaunliche Frau einem größeren Publikum näherbringen.
Charlotte die Träumerin, Charlotte die Utopistin, Charlotte die Kämpferin, Charlotte die Großzügige, heißt es darin und die Lebensgeschichte der 1999 im Alter von 96 Jahren verstorbenen Pariserin rechtfertigt diese hochtrabende Beschreibung durchaus.
Schon mit 24 Jahren sorgte die Studentin Charlotte Perriand auf der Pariser Möbelmesse 1927 für Furore mit ihrer aus Kupfer und Aluminium konstruierten Bar „Sous le toit“ („Bar unterm Dach“). Die schlichte Maschinen-Ästhetik dieses eleganten Bar-Ensembles war bahnbrechend in der detailverliebten Pariser Art Déco-Zeit und schockierte mit ihrer Anti-Bürgerlichkeit. Es folgten stilprägende Stahlrohrmöbel wie die berühmte Chaise longue B306. Perriands Möbel sind rückblickend das, was man zeitlos nennt: Der cleane Look von Stahlrohr und vernickeltem Kupfer strahlt auch fast hundert Jahre später noch coole Eleganz aus und findet bis heute Nachahmer.
Die Frau dahinter teilte ein Schicksal mit vielen Künstlerinnen und Kreativschaffenden ihrer Zeit (sowie davor und danach), deren Entwürfe man kennt, deren Name jedoch hinter jenen der Männer an ihrer Seite verschwand.
Charlotte Perriand arbeitete Mitte der 1920er-Jahre im Atelier des legendären Architekten und Designers Le Corbusier – die meisten Möbeldesigns des Studios aus dieser Zeit entstanden unter dem Namen Le Corbusier, man weiß allerdings heute, dass sie von Perriand gezeichnet und realisiert wurden.
Architekturfachleuten ist Charlotte Perriand natürlich ein Begriff, ihre Design-Arbeiten gehören zu den weltweit best verkauften. Die meisten anderen, die Nicht-Fachleute, lernten sie womöglich über den italienischen Möbelhersteller Cassina kennen, der vor einigen Jahren Perriands Entwürfe wiederauflegte. Darunter das zu ihren Lebzeiten unrealisierte Projekt einer spacigen Mini-Berghütte aus Aluminium und Holz. Dieses 1938 entworfene Alpenbiwak ähnelt einer Raumstation und wer den erstaunlichen Zylinder betrachtet, würde sich wohl nicht wundern, wenn E.T. herausstiege.
Eine Werkschau in der Pariser Fondation Louis Vuitton 2019 zeigte das enorme Interesse an der Person hinter diesen außergewöhnlichen Entwürfen. Mit ihrer jetzt erstmals auf Deutsch vorliegenden Lebensgeschichte wird sie auch im deutschen Sprachraum vor den Vorhang geholt. Schon das Cover-Foto – man sieht Perriands nackten, kräftigen Rücken vor einer Bergkulisse – rechtfertigt den auf den ersten Blick etwas klischeehaften Untertitel: „Ihr Leben als moderne und unabhängige Frau“.
Eine geniale Visionärin wird hier beschrieben, die sich als tollkühnes, wagemutiges „Sonnenmädchen“ sehr jung ihrem berühmten Lehrer Le Corbusier anschloss, sich aber bald seinem Einfluss entzog. Zeitgenossin energischer Künstlerinnen wie Sonia Delaunay und Rose Adler, war Perriand Teil einer Frauengeneration, die sich neue Rechte erkämpfte. Etwa jenes, Kunst zu studieren und ein eigenständiges Liebesleben zu haben. Sie reiste durch die Welt, bestieg hohe Berge – später auch mit Tochter Pernette – und schien dabei immer unerschrocken.
Wer die Bilder dieser jungen Frau, deren kecker Kurzhaarschnitt die Schönheit ihres Gesichts unterstreicht, betrachtet, sieht auch, wie selbstbewusst sie inmitten einer Männerwelt auftrat. Stets auf Augenhöhe. Möglicherweise wurde ein Grundstein dafür schon in der Kindheit gelegt, die sie zum Teil bei den Großeltern in den Savoyen verbrachte. Perriand liebte die Alpen und war zeitlebens aktive Bergsteigerin und Skifahrerin – was spätere Projekte wie Ski-Resorts und Chalets erklärt.
Vorbei mit der Liebe
Als junge Frau engagierte sie sich an der Seite ihres Gefährten, dem Maler Fernand Léger, politisch in einer KP-nahen Künstler-Organisation, der auch Schriftsteller wie André Gide und André Malraux angehörten. Mit dem Hitler-Stalin-Pakt war die Liebe zu den Kommunisten vorbei. Die Suche nach Gerechtigkeit blieb: Zeitlebens beschäftigte sie sich mit dem sprichwörtlichen „Dach über dem Kopf“ für die, die keines hatten. Bis zuletzt arbeitet sie mit Tochter Pernette zusammen, die später ihren Nachlass verwaltete.
Charlotte Perriand soll den Ruhm gehasst haben. Sie war militante Vorkämpferin der Kargheit. Über sich selbst sagte sie: „Wenn man mich fragen würde, was ich bin, wüsste ich nicht, was ich darauf sagen soll ... eine Künstlerin vielleicht, aber davon verstehe ich nichts.“
Info: Laure Adler: „Charlotte Perriand. Ihr Leben als moderne und unabhängige Frau“.
Elisabeth Sandmann Verlag.192 Seiten. 45,30€.
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