Die Sitz-Ikone
Fast 60 Jahre hat er auf dem Buckel und immer noch wirkt er unglaublich futuristisch, innovativ und modern, als käme er direkt aus einem Zukunftslabor der Raumfahrttechnik: Verner Pantons „Panton Chair“, 1959 entworfen und seither zu einer Design-Ikone geworden. In die Wohnzimmer der Österreicher sind die spacigen Entwürfe des 1998 verstorbenen dänischen Kultdesigners allerdings nie wirklich vorgedrungen.
Zwar gibt es in einem Einfamilienhaus am Wiener Stadtrand noch einen komplett erhaltenen Panton-Partykeller, aber er ist die Ausnahme geblieben. Es scheint ein Paradox zu sein: So bunt und aufregend die schöne neue Designwelt der 1960er war und so beeindruckend die Möbelhauskataloge der Zeit auch heute noch wirken – angekommen ist davon nur wenig in den Durchschnittshaushalten. Der Wiener sitzt traditionell gerne auf Thonet. Am liebsten auf Nummer 14, dem klassischen Kaffeehausstuhl, einem der gelungensten Industrie-Design-Produkte weltweit.
Mit ihm begann die Geschichte des modernen Möbels, er war lange Zeit das meistverkaufte Sitzmöbel überhaupt. Bis 1960 verkaufte sich dieser sogenannte „Konsumsessel“ 50 Millionen Mal, erläutert Sebastian Hackenschmid, Kunsthistoriker und Kurator der Ausstellung „Sitzen 69 Revisited“, die ab 13. November im Wiener MAK – Museum für angewandte Kunst zu sehen ist. Ausgestellt sind dort hochwertige Tischlersessel aus den 1920ern, etwa aus Josef Franks Einrichtungshaus „Haus und Garten“, die den verspielten und teils verrückten Möbelobjekten der 1960er-Jahre gegenübergestellt werden: Zu den spektakulärsten Entwürfen der Zeit gehört der Fauteuil Galaxy 1 des Malers Walter Pichler, inspiriert von Raumfahrt und Rennfahrzeugen. Auch heute noch wirkt er ziemlich außerirdisch.
Plastik-BeautyIm Mittelpunkt der Schau steht Verner Pantons poppiger Plastiksessel, der Pate für den sogenannten Monobloc stand, ein Plastiksessel, der ab den frühen 1970er-Jahren den Thonet-Sessel als Verkaufsschlager ablöste. Gefertigt wurde der Monobloc als stapelbares Kunststoffsitzmöbel und zwar, wie der Name sagt, in einem Stück und einem Arbeitsgang. Seit seiner Erfindung ist der Monobloc, von dem es natürlich verschiedene Modelle gibt, das weltweit meist verbreitete Sitzmöbel. Der große Erfolg des Panton Chair war zunächst nicht absehbar, denn seine Entstehungsgeschichte war von vielen Stolpersteinen begleitet.
Der dänische Designer Verner Panton hatte die Idee zu einem freischwingenden Kunststoffstuhl schon Ende der 1950er-Jahre entwickelt, aber kein Hersteller traute sich den gewagten Entwurf zu. Wie sollte ein Kunststoff-Stuhl ohne Hinterbeine, dessen Sitzfläche unter dem Gewicht einer Person federnd nachgibt („schwingt“) eigentlich halten? Nicht umsonst ruhte der erste „Stuhl ohne Hinterbeine“ noch auf einer robusten Rohrkonstruktion. Von wem dieser erste „Freischwinger “ tatsächlich erfunden wurde, sorgte lange Zeit für Diskussionen – der Erfolg dieses großen Designklassikers hatte viele Väter. 1926 entwickelte der Schweizer Architekt Mart Stam einen ersten Stuhl ohne Hinterbeine, der deutsch-amerikanische Architekt Ludwig Mies van der Rohe zeigte ein Jahr später einen eigenen Entwurf, und Designer Marcel Breuer verbesserte die Elastizität weiter und entwickelte Varianten aus Stahlrohr. Fest steht, dass das markante Möbelstück in den folgenden Jahrzehnten Designer und Architekten beeinflusste und Vorbild für den „Panton Chair“ war. Den Vorläufer für den heutigen Panton Chair entwickelte der unkonventionelle Däne Verner Panton, der übrigens 1926, im Geburtsjahr des ersten Freischwingers auf die Welt kam, aus einem Stück gebogenem Sperrholz – und zwar für die Firma Thonet.
Wie wird ein Möbel Legende? Jahrelang experimentierte Panton damit, dieses Prinzip auf das Material Kunststoff anzuwenden, 1959 gelang der erste Monobloc-Freischwinger. Doch erst dem Möbelhersteller Vitra glückte ab 1967 die Serien-Produktion. Der Panton Chair wurde Legende. Was macht eine Design-Legende eigentlich aus? Kunsthistoriker Hackenschmid: „Wahrscheinlich der Umstand, dass sie funktionieren.“ (Zu den berühmten Ausnahmen gehört etwa Philippe Starcks „Juicy Salif“, ein Objekt, das als Zitronenpresse verkauft wird. Versuche, damit tatsächlich eine Zitrone auszupressen, scheitern meist.) Wirkliche Klassiker leben außerdem lange: Ob Thonet-Sessel oder Ikea-Billy-Regal – beide werden seit Jahrzehnten gebaut. Und Klassiker stehen Pate für Neues. Einen der innovativsten Freischwinger des 21. Jahrhunderts hat der österreichische Architekt und Designer Martin Mostböck erfunden.
Anders als seine Vorgänger hat Mostböcks Sessel Nachhaltigkeit mitgedacht: „Flaxx“ ist aus 100 % recyclingfähigem Material. Die Sitzschale wird aus Naturfasermatten gefertigt, die vorwiegend aus Flachs gewonnen werden. Das Gestell besteht aus Stahlrohr. Konzipiert ist der Flaxx als Hybrid zwischen Vierbeiner und Freischwinger und wurde in Sammlungen von Design-Museen weltweit aufgenommen – man kennt die Sessel des Burgenländers Mostböck in New York, Tel Aviv und natürlich auch im Wiener MAK. Der Flaxx ist ein originelles Sitzmöbel mit Schmäh und Komfort. Keine Selbstverständlichkeit. „Ein Sessel muss bequem sein. Das ist die Grundvoraussetzung – die bei so manchem Designer-Stück allerdings fehlt“, sagt Mostböck. „Der Panton-Chair ist ein bequemer Designersessel. Das macht ihn zum Klassiker. Ich bin schon im Studium oft mit ihm konfrontiert worden“, sagt Mostböck. Gibt es ein Objekt, das er gerne erfunden hätte? „Ich hätte die Arco-Stehleuchte von Achille Castiglioni entworfen. Ich habe sie zu Hause stehen. Sie ist grandios. Das ist ein Klassiker, wie er sein soll: Praktisch und schön. Echte Klassiker vereinbaren Funktion und Revolution: Sie schaffen etwas Neues.“
„Sitzen 69 Revisited“, ab 13. November im Wiener MAK – Museum für angewandte Kunst
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