Gewalt im Kreißsaal: Wenn die Geburt zum Trauma wird

EIne Frau mit ihrem neugeborenen Baby.
Wie Übergriffe während der Geburt verhindert werden können und Mentaltraining werdenden Müttern bei der Vorbereitung hilft.

"Die ersten, die den Kreißsaal betraten, waren die Reinigungskräfte. Ich lag da, allein, unbedeckt, minutenlang. Das hat sich entwürdigend angefühlt."

Es sind Erinnerungen wie diese, die Isabella Konlechner mit der Geburt ihrer Tochter verbindet. Vor etwa drei Jahren brachte die heute 30-Jährige ihr erstes Kind zur Welt. Der Geburt blickte die Niederösterreicherin voller Freude entgegen: "Ich hatte das Gefühl, dass die Geburt etwas zutiefst Weibliches ist, etwas, das Frauen von Natur aus bewerkstelligen können." Es sollte anders kommen.

"Meine Geburt hat sehr lange gedauert", schildert sie. "Nach mehreren Stunden Wehen war ich psychisch und physisch ausgelaugt." Die Hilfestellungen des medizinischen Personals empfand sie keineswegs als positiv, "weil sie nicht mit mir abgesprochen wurden". Um die Geburt zu beschleunigen, wurde etwa ihre Fruchtblase angestochen. Gegen Ende setzte die Gynäkologin eine Saugglocke ein – "auch das wurde mit keinem Wort kommuniziert".

Grenzüberschreitungen bei der Geburt

Mit dem Gefühl, während der Geburt übergangen zu werden, ist die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin nicht allein. Gewalt in der Geburtshilfe betrifft weltweit unzählige Frauen und ist dennoch gesellschaftlich tabuisiert. Offizielle Statistiken, wie viele Gebärende betroffen sind, gibt es nicht. Die mit der UNO vernetzte Organisation Human Rights in Childbirth schätzt, dass etwa 40 bis 50 Prozent der Frauen bei der Geburt physische oder psychische Gewalt erleben. Ersteres beschreibt zum Beispiel schmerzhafte Eingriffe, wie Dammschnitte oder Kaiserschnitte ohne medizinischen Grund. Seelische Gewalt erfahren Gebärende in Form von Erniedrigung, Demütigung, Angstmache und Entmündigung.

In Deutschland sprachen in einer Studie aus dem vergangenen Jahr immerhin neun Prozent der Mütter, die an einer Klinik mit mehr als 2000 Geburten pro Jahr entbunden hatten, von einer mittelmäßigen oder schlechten Erfahrung im Kreißsaal. Die Studie, die unter 9.600 Müttern durchgeführt wurde, kam zu dem Schluss, dass bei steigender Klinikgröße die Erfahrungswerte der Frauen negativer wurden. Durchgeführt wurde die Erhebung vom Picker Institut, einer gemeinnützigen Organisation, die sich der Entwicklung eines patientenorientierten Ansatzes im Gesundheitswesen widmet.

Gewalt im Kreißsaal: Wenn die Geburt zum Trauma wird

Die Geburt eines Kindes kann für die Mutter (wie auch für das Kind) traumatisch verlaufen.

Personalmangel als Faktor

Seit 2014 sind Missbrauchserfahrungen bei der Geburt auch Schwerpunktthema der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Kritisch sieht die WHO den Personalmangel an Spitälern. Dieser führe dazu, dass Ärzte und Hebammen überfordert sind und keine Zeit haben, sich auf Patientinnen einzulassen.

Dass die Personalproblematik eine entscheidende Rolle spielt, bestätigt auch Marianne Mayer, Leiterin des Wiener Hebammengremiums. "Hebammen versuchen, Gebärende so gut es geht zu unterstützen, aber, wenn man als Hebamme zwei oder drei Frauen gleichzeitig betreuen muss, deutet das auf einen Systemfehler hin." Von einer Eins-zu-eins-Betreuung bei Entbindungen, wie von der WHO gefordert, sei man hierzulande "weit entfernt". "Dabei wäre genau das die Situation, wo Vertrauen entstehen kann und es weniger Komplikationen gibt."

Folgen und Prävention

Bei Müttern können Gewalterfahrungen zu Traumatisierungen führen, beispielsweise in Form einer postpartalen Depression oder posttraumatischen Belastungsstörung. Identitätsprobleme als Frau und Mutter, Bindungsprobleme mit dem Kind und Konflikte in der Partnerschaft können ebenso folgen. Auch Stillschwierigkeiten und Schlafprobleme kommen vor.

Umso wichtiger ist die Aufarbeitung des Erlebten: "Die Situation muss offen mit dem medizinischen Team geklärt werden – am besten zeitnah. Die Frauen sollten immer die Möglichkeit haben, sich Gehör zu verschaffen", sagt Mayer. Auch für Hebammen und Ärzte sei die Analyse wichtig, um im Tun achtsamer zu werden.

Um Übergriffen und Entmündigung vorzubeugen, sei es wichtig, "dass Hebammen Frauen informieren, was gemacht wird und warum etwas gemacht wird". Es gebe immer wieder Situationen, die für die Patientin unerwartet sein können. "Wenn die Frau das Einverständnis gegeben hat und nachvollziehen kann, was mit ihrem Körper passiert, hat man einen riesigen Schritt gemacht", sagt Mayer.

Mentale Vorbereitung

Durch ihre traumatisierende Geburtserfahrung kam Isabella Konlechner zu Positive Birth, einem Mentaltrainingskonzept für werdende Mütter, das mittlerweile mit Kursen und Kursleiterinnen in ganz Österreich vertreten ist. "Viele denken, dass die Geburt ein rein körperlicher Vorgang ist – sie findet aber auch im Kopf der Mutter statt", sagt Gründerin Jasmin Nerici. In den Kursen werde Schwangeren vermittelt, "dass die Geburt kein vorgefertigter Prozess, sondern ein individueller Weg ist, den sie selbstermächtigt gehen können". Zentral sind dabei leicht erlernbare Mentaltechniken, etwa Visualisierungen oder Selbstbestärkung, wie auch Entspannungsübungen. Ziel sei, dass "jede Frau erkennt, dass sie mit ihrer mentalen Einstellung ihr Körperempfinden positiv beeinflussen kann, unabhängig von der Geburtssituation".

Sich mental auf eine bevorstehende Geburt vorzubereiten, empfiehlt auch Marianne Mayer: "Die Vorbereitung nicht nur körperlich anzugehen, mit Schwangerschaftsgymnastik oder Yoga, ist sicher sinnvoll." Wichtig sei allerdings, zu wissen, dass Mentaltrainerinnen für Schwangere keine klassische Berufsausbildung als Hebammen haben. "Ich sehe es ergänzend zu Geburtsvorbereitungskursen."

Im April kommt Isabella Konlechners zweites Kind zur Welt. Die Vorfreude ist groß – trotz, oder gerade wegen des Erlebten. "Ich hätte mir gewünscht, dass ich vor dreieinhalb Jahren so gut vorbereitet in meine Geburt gegangen wäre", sagt die bald zweifache Mama, die selbst die Ausbildung zur Positive-Birth-Kursleiterin absolviert hat.

Für werdende Mütter wünscht sich Konlechner, dass sie als Expertinnen für ihren Körper anerkannt werden. "Die Hilfe, die medizinisches Personal bereitstellen kann, ist wichtig – sie sollte wertschätzend mit der Mutter geteilt werden."

Info: Der "Positive Birth Geburtskongress 2019" am 30. März steht im Zeichen positiver Geburtserfahrungen. Tickets und Infos unter www.positivebirth.at.

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