In der Hochphase der Corona-Pandemie war kein Platz für Massenveranstaltungen. Das Brauchtum wurde deshalb in den vergangenen zwei Wintern in die Zwangspause geschickt oder konnte nur unter Auflagen stattfinden. Jetzt erstehen uralte Traditionen wieder auf. Der KURIER widmet diesem Comeback eine Serie, die in loser Folge Folklore von Wien bis Vorarlberg vorstellt.
Im Seminarraum im burgenländischen Mattersburg haben Philipp Jurenich und Sascha Aminger eine Powerpoint-Präsentation und gut ein Dutzend Bücher für den Unterricht vorbereitet. Die Schüler nehmen im Sesselkreis Platz. Es wird ernst.
Ein ehemaliger Bürgermeister, ein Pfarrer, zwei Kindergarten-Pädagoginnen, ein Zivildiener, ein Gastwirt und ein 53-Jähriger, der als Ministrant fungiert, drücken die Schulbank. Jurenich, der in der Katholischen Erwachsenenbildung der Diözese tätig ist, lehrt heute mit Jugendpastoral Aminger das Fach „Nikolaus“.
„Er ist kein Erzieher“
„Von einer Liste mit Lob und Tadel raten wir ab“, nennt Jurenich die erste „Benimmregel“. Eine Diskussion beginnt. Es sei ja meist Wunsch der Eltern, manche Themen anzusprechen. Jurenich lenkt ein. „Der Nikolaus ist kein Erzieher mit erhobenem Finger. Er war kein strenger Aufpasser, sondern ein liebevoller Menschenfreund.“ Frohbotschaft, statt Drohbotschaft verkünden laute die Devise. Die Erziehung obliege alleine den Eltern.
Nikolausschulung
Von „schlechter Gesellschaft“ wird dem Nikolaus abgeraten. In Begleitung des Krampus sollte der Heilige nicht in Erscheinung treten. Der Krampus sei eine finstere, heidnische Gestalt, mit dem christlichen Bischof habe er nichts gemein. „Das sollte man trennen.“
Einige der „Schüler“ haben ihren ersten Auftritt als Heiliger erst vor sich. Da ist das äußere Erscheinungsbild ein wichtiges Thema. Welches Gewand trägt der Nikolaus und wo ist die Kleidung erhältlich?
Jurenich zeigt anhand mitgebrachter Textilien, worin der „Nikolaus von Welt“ gewandet sein soll: Neben der Alba (weißes Unterkleid), dem Zingulum (Gürtel), dem roten Bischofsmantel, einem (künstlichen) weißen Bart dürfen auch Mitra (Bischofsmütze), Hirtenstab und Kreuz nicht fehlen. Ein absolutes No-Go für den Heiligen: Er trägt keine rote Zipfelmütze! „Das macht nur der Weihnachtsmann.“
„Was tun, wenn einen die Kinder erkennen“, will ein Teilnehmer wissen. Auch da hat Jurenich einen Rat bereit: „Immer authentisch bleiben und nicht versuchen, mit erfundenen Geschichten zu punkten.“
Davon, dass Kinder beim Besuch Sprüche oder Gedichte aufsagen sollen, wie das manchmal üblich ist, stehe in der modernen „Nikolaus-Lehre“ nichts geschrieben, sagt der Lehrer.
Ein Doppelleben
Einer, der nach der Theorie aus der Praxis plaudert, ist Pfarrer Josef Giefing. Die Frage nach künstlichem Bart und weißem Haar stellt sich bei ihm gar nicht. „Ich lasse beides seit Juli wachsen“, sagt der Geistliche. Seit 2006 führt der Pfarrer als Nikolaus ein „Doppelleben“.
Er besucht seine Schäfchen zumeist inkognito in der Schule und im Kindergarten. Nicht nur Kinder geraten in Zweifel, ob er wegen seines Äußeren nicht „der Echte“ sei. „Ein Bub hat gemeint, ja der ist echt, der hat sich ja am Bart gekratzt“, schildert Giefing seinen Kollegen.
„Dos und Don’ts“
Der frühere Bürgermeister Vinzenz Jobst ist ein erfahrener „Heiliger“. Seine Erlebnisse teilt er im Kurs mit seinen Mitschülern. 25 Jahre lang war er Ortschef, fast ebenso lange ist er als Nikolausdarsteller unterwegs.
Während er früher die jüngsten Bewohner in seiner Gemeinde am 6. Dezember aufsuchte, bedenkt er heuer nicht nur Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics höchstpersönlich mit Segensspruch und Nikolaussackerl. „Ich bin auch in den politischen Büros unterwegs. Obwohl – zu ihnen sollte eher der Krampus kommen“, meint Jobst, der selbst in Polit-Pension ist. Gelächter ertönt.
Nach zwei Stunden beenden Jurenich und Aminger den Unterricht. Die Teilnehmer schmökern in der Nikolaus-Lektüre, zum Lernen bekommen sie Unterlagen. „Da können wir zu Hause die Dos und Don’ts studieren“, sagt ein angehender Nikolaus. Nächstes Jahr will er wieder zum Unterricht kommen.
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