Vertikaler Vitamincocktail: Diese Erbsen wachsen ohne Sonnenlicht
Das zarte Grün von Pisum sativum gilt als Einstiegsdroge unter den besten Köchen des Landes. Sechs Tage brauchen die Samen, bis sie zu einer kleinen Erbsenpflanze gedeihen. Von der Ernte ins Sackerl bis zum Kunden dauert es knackige sechs bis zwölf Stunden. Seit einem halben Jahr experimentiert Stefan Fürnsinn mit den zarten Pflänzchen – kommerziell erfolgt die Zuckererbsen-Ernte seit wenigen Wochen.
Das wäre an sich nicht weiter berichtenswert, doch diese Pflanzen sind niemals der Sonne entgegengewachsen und haben niemals ihre Wurzeln in feuchte Erde gestreckt.
Kleiner als gedacht wirkt die 1.000 Quadratmeter große Halle in Raasdorf bei Wien und doch wurden hier vergangenes Jahr eine Million Jungpflanzen geerntet, heuer sollen es doppelt so viele werden.
"Jede Pflanzenart hat ihren eigenen Gießrhythmus: Das Wasser fließt am Boden der Regale, die Pflanzen bekommen also nasse Füße, einige wollen sogar beregnet werden. Alle brauchen Tag und Nacht, manche schlafen vier, manche 15 Stunden. Sonnenuntergänge werden mit einem weicher werdenden Licht simuliert." Nichts wird dem Zufall überlassen, wie Start-up-Geschäftsführer Stefan Fürnsinn erklärt.
Micro Greens: Pflanzerei in Substrat-Töpfchen
Die Produktion auf sieben Ebenen erfolgt 24 Stunden am Tag – genauso wenig wie ihre Pflanzen sind die Mitarbeiter von Herbeus Greens, einer vertikalen Indoor-Farm, von Tageszeiten oder Wetter abhängig. Seit bald vier Jahren wachsen hier sogenannte Micro Greens: Sprossen der Sonnenblume – knackige Blätter, die wässrig schmecken –, Radieschen – zarte Blätter mit Pfeffrigkeit –, Fenchel – der Hustensaft lässt grüßen – oder winzige Basilikumblätter, die nach italienischem Sommer duften.
Die proteinreichen Jungpflanzen wachsen nicht auf Erde, sondern in einem Substrat aus Naturfasern: Ein Vorteil ist, dass die Pflanzentöpfe schimmelpilzfrei und ohne Hygienebedenken in Gastroküchen geliefert werden können.
Kein Wunder also, dass Haubenköche wie Heinz Reitbauer, Silvio Nickol oder Edi Dimant auf den vertikalen Vitamincocktail stehen. Die Erbsenblätter im Sackerl (80 g/2,29 Euro) – 100 Gramm der Jungerbse decken ein Viertel des Vitamin-C-Tagesbedarfs – gibt es seit Kurzem bei Großhändlern wie Metro, mpreis oder Gurkerl im Sortiment.
"Mit der Erbse werden wir gerne bei Köchen vorstellig, aber für die Spitzengastronomie sind Spezialitäten wie Tagetes oder die japanische Petersilie interessant. Die Gastronomie läuft voraus: Sie kann schneller mit neuen Produkten umgehen", erklärt Fürnsinn.
Versorgungssicherheit in Zeiten des Klimawandels
Das Start-up möchte Kräuter im großen Stil anbauen, die man bisher in Österreich nicht bekommen hat und nur klimaschädigend um den Erdball fliegen konnte. So handelt es sich bei Tagetes um die sogenannte Studentenblume aus Nord- und Südamerika – ihre Blätter schmecken wie Kaugummi, fruchtig nach Apfel und Birne. "Nur ohne E-Nummern", wie der Chemiker zufrieden anmerkt. Seine Kinder trinken gerne Wasser, das mit dem Kraut aromatisiert wird.
Begonnen haben seine Experimente im Keller mit einer Lampe – mit 30 Pflanzensorten lukrierte Fürnsinn rund 1,5 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr. Hinter dem Start-up stehen Investoren wie Armin Burger, ehemaliger Chef des Diskonters Hofer: Noch heuer soll die Kapazität um 30 Prozent vergrößert werden und ein neuer Standort in einem der Nachbarländer Österreichs entstehen.
Othmar Ruthner gilt als Erfinder der vertikalen Gewächshauskultur. 1964 präsentierte der Österreicher auf der "Wiener Internationalen Gartenschau" ein 42 Meter hohes Rundgebäude mit einer Nutzfläche von 1.000 Quadratmetern: Auf einem sich ständig in Bewegung befindlichen Paternoster hingen auf 282 Hängevorrichtungen 35.000 Töpfe – unten befand sich eine Wanne mit Wasser und Nährlösung.
29 Türme bzw. Turmglashäuser existierten einst weltweit. Wegen der umständlichen Wartung und hohen Stromkosten konnte kein Turm rentabel geführt werden. Heute sind nur noch Teile eines Turms erhalten, der in Wiener Neustadt stand und völlständig abgetragen wurde.
Indoor-Farmen verschaffen in Zeiten des Klimawandels Versorgungssicherheit – ein Begriff, der auch durch den Ukraine-Krieg an Aktualität gewonnen hat: "Auf einem Quadratmeter lassen sich 100-mal so viele Jungpflanzen anbauen wie auf einem Feld, zehn- bis 15-mal so viele wie in einem Glashaus. Aber bei einem um 90 Prozent geringeren Wasserverbrauch sowie bei kürzeren Transportwegen als in der herkömmlichen Landwirtschaft und ganz pestizidfrei."
Im Herbst starten Anbauversuche mit Erdbeeren und Himbeeren, in zwei Jahren könnten heimische Supermärkte die süße Ernte aus dem Gewächshaus in den Wintermonaten verkaufen.
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