Österreicher Peter Handke zum Literatur-Nobelpreis: "Ist das wahr?"
Der Literaturnobelpreis 2019 geht an den Österreicher Peter Handke. Das wurde am Donnerstag bekanntgegeben. Der Österreicher wurde für "ein einflussreiches Werk, das mit sprachlicher Genialität die Peripherie und Besonderheit der menschlichen Erfahrung erforschte", ausgezeichnet.
„Die besondere Kunst von Peter Handke ist die außergewöhnliche Aufmerksamkeit zu Landschaften und der materiellen Präsenz der Welt, die Kino und Malerei zu zwei seiner größten Quellen der Inspiration werden ließen“, begründete die Schwedische Akademie die Zuerkennung des Literaturnobelpreises an den Autor weiter.
Peter Handke erhält den Literaturnobelpreis
Handke war laut dem Vorsitzenden des Nobelkomitees der Akademie, Anders Olsson, beim Anruf der Juroren zu Hause. „Er war sehr, sehr gerührt. Erst hat er kaum ein Wort herausbekommen“, so Olsson. Dann habe Handke auf Deutsch gefragt: „Ist das wahr?“
Der deutsche Suhrkamp-Verlag feierte die hohe Auszeichnung für seinen Autor in einer live übertragenen Pressekonferenz:
Handke folgt damit als österreichischer Preisträger auf Elfriede Jelinek (2004). Begeistert hat Jelinek auf die Vergabe des Literaturnobelpreises 2019 an Peter Handke reagiert. „Großartig! Er wäre auf jeden Fall schon vor mir dran gewesen“, schrieb die Autorin der APA. Für Jelinek, die den Preis selbst 2004 erhalten hatte, war es „höchste Zeit!“ Sie freue sich auch, dass die Auszeichnung an jemanden gehe, „auf den sie in Österreich endlich stolz sein werden“.
Der zweite heute vergebene Nobelpreis - für 2018 - geht an die polnische Autorin Olga Tokarczuk.
Prominentester österreichischer Autor
1942 in der Kärntner Provinz geboren, lebt Handke seit mittlerweile 30 Jahren in Frankreich, wo er zu seinem Domizil im Pariser Vorort Chaville vor einigen Jahren auch ein einsames Haus in der Picardie erworben hat. Die Reise von hier nach dort ist in „Die Obstdiebin“ (Untertitel: „Einfache Fahrt ins Landesinnere“) nachzulesen. Seit über einem halben Jahrhundert steht er in der literarischen Öffentlichkeit, in den 60er-Jahren als Kulturautor gefeiert, später wegen seines nicht nur literarischen Eigensinns umstritten und seit langem regelmäßig auf jenen Buchmacher-Listen zu finden, in denen die Wettquoten der Nobelpreis-Kandidaten veröffentlicht werden. Peter Handke ist der prominenteste lebende österreichische Schriftsteller. Über 11.400 Seiten soll die vom Suhrkamp Verlag vorbereitete „Handke Bibliothek“ umfassen, in der alles enthalten ist, was er jemals in Buchform veröffentlicht hat. Ein gigantisches Werk.
Welche Liebe zum Kleinsten, zum Detail, zur Ruhe und meditativen Besinnung durchzieht das Werk von Peter Handke. Als welch eine Störung wird dieses Gefüge - auch! - den Nobelpreis empfinden.
Aber klar ist auch: Dass Handke ihn bekommt, damit war zu rechnen, darauf hat auch der Autor - mit seiner zwiespältigen Beziehung zum Rampenlicht - sicher gehofft. Österreich hat nun innerhalb von 15 Jahren den zweiten Literaturnobelpreisträger. Beide hoch verdient.
(Georg Leyrer)
Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen geboren, einem kleinen Kärntner Ort, dem er bis heute verbunden ist. Dass der aus Berlin stammende Ehemann seiner Mutter in Wahrheit sein Stiefvater war und ein verheirateter deutscher Sparkassenangestellter, der um vieles älter war als die Mutter, sein leiblicher Vater - das erfuhr Handke erst im Alter von 18 Jahren. Nach Besuch des katholischen Internats in Tanzenberg und des Gymnasiums in Klagenfurt studierter er ab 1961 in Graz Rechtswissenschaften. Während dieser Zeit fand er Anschluss an die Schriftsteller des „Forum Stadtpark“.
Aufmerksamkeit für "Publikumsbeschimpfung"
Erste Publikationen in der Zeitschrift „manuskripte“ und erste Lesungen im Radio waren ein hoffnungsvoller Beginn. 1965 gelang es Freunden wie Alfred Kolleritsch, für Handkes Debütroman „Die Hornissen“ den renommierten Suhrkamp Verlag zu interessieren, wo das Buch im Frühjahr 1966 erschien. Handke brach sein Jus-Studium ab und lebte fortan als freier Schriftsteller. Sein Stern im Literaturbetrieb ging kometengleich auf, als der nahezu unbekannte Jungautor im April 1966 der Gruppe 47 bei einer Tagung in Princeton in einer erregten Schmährede „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf. Seinen plötzlichen Ruhm festigte die Uraufführung der „Publikumsbeschimpfung“ wenige Monate später durch Claus Peymann in Frankfurt.
Handke war jemand - ein „Popstar“, ein enfant terrible. Seine experimentellen Stücke sorgten für erregte Debatten, Titel wie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1969) oder „Wunschloses Unglück“ (1972) wurden zur Kultlektüre einer ganzen Schüler- und Studentengeneration. Nach seiner Heirat mit Schauspielerin Libgart Schwarz (1967) war der Autor zeitweise Alleinerzieher der 1969 geborenen Tochter Amina. Paris wurde für einige Jahre ständiger Wohnsitz, danach - 1979 bis 1987 - Salzburg. Sein eigensinniger literarischer Weg, der die Sprache, die Wahrnehmung und das Erzählen selbst in den Mittelpunkt stellte, wurde von der Fachwelt und der Kritik mit großer Aufmerksamkeit verfolgt („Mein Jahr in der Niemandsbucht“, „Der Bildverlust“ u.v.a.), erreichte aber kaum mehr breite Leserkreise.
In Kontrast dazu stehen die Aufregungen, die Handke, dessen Auseinandersetzung mit den eigenen slowenischen Wurzeln in seinem Stück „Immer noch Sturm“ (2011) kulminierte, mit seiner pro-serbische Position in den Konflikten am Balkan und der scharfen Ablehnung der westlichen Haltung verursachte. 1996 sorgte sein Reisebericht „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ für heftige Debatten, zehn Jahre später seine Rede bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic.
Neben der Prosa, seiner vielfältigen Übersetzertätigkeit und vier eigenen Filmen (u.a. „Die linkshändige Frau“ und „Die Abwesenheit“) ist es vor allem das Theater, das Handke immer begleitet hat. Dort verfolgte man seinen Weg von der Sprachlosigkeit („Kaspar“, 1968) zurück in die Sprachlosigkeit („Die Stunde da wir nichts voneinander wußten“, 1992) und weiter zu den Versuchen, seine Kritiker sprachlos zu machen („Die Fahrt im Einbaum“, 1999) stets mit Interesse. Für „Immer noch Sturm“ erhielt Handke den Mülheimer Dramatikerpreis 2012.
Claus Peymann ist ihm als Uraufführungsregisseur trotz gelegentlicher Differenzen bis in die Gegenwart treu geblieben. „Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße“ wurde im Vorjahr von Peymann im Burgtheater zur Uraufführung gebracht - eine poetische Konfrontation des Einzelnen mit der Gesellschaft, aber gleichzeitig auch ein Hadern mit sich selbst. Handkes Lebensthema quasi.
„Wir Illegalen. Aber besser illegal als die legalen Gauner weltweit“, heißt es in der Rede des Vaters am Ende von „Die Obstdiebin“. „Ein Hoch auf das Fest eurer Geburt, Kinder, sanfte Dämonen, gute. Ohne Dämonie wird nichts. Ohne Dämonen keine wahre Geschichte.“ Die Dämonen feiern mit ihm Geburtstag. Und die „Handke Bibliothek“ wartet auf viele weitere Geschichten.
Warum es heuer zwei Nobelpreise gab
Dass es heuer zwei Nobelpreise für Literatur geben wird, das wurzelt in einem Skandal, der die Schwedische Akademie in den Grundfesten erschüttert hat.
Im Zuge der #MeToo-Bewegung wurden 2017 Belästigungs- und Vergewaltigungsvorwürfe gegen Jean-Claude Arnault, den Ehemann des damaligen Akademie-Mitglieds Katarina Frostenson, laut. Zudem ist der Franzose Leiter eines Kulturvereins, der mit Geldern der Akademie finanziert wurde: Seine Frau hatte jahrelang über Mittel für ihren Mann mitentschieden.
Wie die Akademie auf diese Vorwürfe reagiert hat, war ein Musterbeispiel an Mauermachen: Es wurde so lange nicht reagiert, bis es das ganze Gremium derart zerriss, dass es letztendlich nicht einmal mehr beschlussfähig genug war, um neue Mitglieder aufzunehmen. Von einer Nobelpreisvergabe keine Rede.
Nach einem Jahr Schadensbegrenzung wurde daher heute der Doppelpreis vergeben. Trotz der Negativschlagzeilen um die Schwedische Akademie aus dem Vorjahr wollen beide Literaturnobelpreisträger zur Preisverleihung am 10. Dezember nach Stockholm kommen. „Beide haben zugesagt“, sagte Olsson.
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