Zwei Jahre #MeToo: Eine Bewegung, die auch vor den größten Stars nicht haltmacht
Vieles von dem, was das Internet versprochen hat – mehr Demokratie, vermehrte Meinungsfreiheit – hat sich, bestenfalls, in nichts aufgelöst oder, öfter, ins Gegenteil verkehrt. Aber eines jedenfalls drang aus dem Netz in die echte Welt – und hat diese ganz real verändert: Im Rahmen der #MeToo-Bewegung haben Frauen eine Stimme gefunden, die zuvor oftmals Jahrzehnte geschwiegen haben. Und das, was sie sagen, hat einen positiven Klimawandel im Geschlechterverhältnis eingeleitet.
Der Ausgangspunkt kam aus den Medien – und betraf die Kultur. Vor zwei Jahren veröffentlichten die New York Times und der New Yorker jene Vorwürfe gegen den so prominenten wie berüchtigten Filmproduzenten Harvey Weinstein, die schon so lange zuvor in Hollywood kursiert hatten. Erstmals erhoben Frauen das Wort dagegen, wie Weinstein seine Machtposition missbrauchte, um junge Schauspielerinnen zu belästigen und, so der Vorwurf, zu vergewaltigen.
Und wenige Tage später begann der von Tarana Burke geprägte Hashtag #MeToo, zum weltweiten Onlinephänomen zu werden. Immer mehr Frauen berichteten von Machtmissbrauch bis hin zu sexuellen Übergriffen. Das Muster ist (so gut wie) immer dasselbe. Ein mächtiger Mensch, zumeist ein Mann, verspricht einem jungen Menschen, zumeist einer Frau, eine Karriere. Wenn diese sich wehrt, droht er, diese Karriere zu beenden.
Es folgen: Übergriffe, und brutaler Druck, diese Übergriffe für sich zu behalten.
Die Folgen
Die Folgen von #MeToo waren immens, die Gegenbewegung ebenfalls. Stars von Schauspielern wie Bill Cosby und Kevin Spacey bis zu Stardirigent James Levine sahen sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert, und in den USA war die Reaktion in vielen Fällen prompt: Einst mächtige Männer insbesondere aus Kultur und Medien verloren ihre Jobs und ihren Einfluss.
Placido Domingo
Der Opernstar legte vergangene Woche nach Vorwürfen von mehreren Frauen seine Leitungsfunktion bei der oper in Los Angeles zurück.
James Franco
James Franco soll, so werfen ihm zwei ehemalige Studentinnen in einer Klage vor, in der von ihm mitgeleiteten Schauspielschule übergriffig geworden sein. Die Klage wurde am Freitag bekannt.
Katarina Frostenson und Jean-Claude Arnault
Katarina Frostenson war Mitglied der Literaturnobelpreis-Akademie. Ihr Mann Jean-Claude Arnault wurde als Vergewaltiger überführt– ein Riesenskandal in der Akademie folgte.
Bill Cosby
Bill Cosby galt dank der „Cosby Show“ in den USA als „Vater der Nation“. Er wurde wegen drei Übergriffen zu mindestens drei Jahren Haft verurteilt, er sitzt derzeit im Gefängnis.
Harvey Weinstein
Harvey Weinstein, einst mächtiger Filmproduzent und Auslöser von #MeToo, wartet auf seine Prozesse. Rund 80 Schauspielerinnen werfen ihm Übergriffe und auch Vergewaltigung vor.
Auch die früher mit der Aura des Unantastbaren umwölkte Schwedische Akademie traf ganz hart auf die Realität. Nach Machtmissbrauchsvorwürfen gegen einen prominenten Literatur-Akteur stürzte die Akademie derart tief in die Krise, dass 2018 kein Literaturnobelpreis vergeben wurde. Kommende Woche gibt es gleich zwei, und wer darauf wettet, dass diese an zwei Autorinnen gehen, mindert das Risiko.
Es gab aber auch eine Solidarisierungswelle und Gegenbewegung, wie zuletzt etwa mit Plácido Domingo, der bei den Salzburger Festspielen trotzigen Extraapplaus des Publikums bekam.
Nach der ersten staunenden Reaktion der Öffentlichkeit darauf, dass immer mehr ihrer geliebten Stars untergingen, setzte der Gegenschwung ein: #MeToo wurde, wie viele gesellschaftliche Veränderungen, als überschießend gebrandmarkt, und die insbesondere atmosphärische Schubumkehr wurde verbal in strenge Rahmen verwiesen. Demnach sollte das Strafrecht als Maß des Zusammenlebens gelten: Wenn ein Star nicht verurteilt ist oder die Vorwürfe verjährt, dann sollen die Frauen doch besser schweigen.
Läuft und läuft
Das taten sie nicht. Die Bewegung ist bis heute – erstaunlich für die oft schnelllebigen Online-Kampagnen – ungebrochen. Und wie das Beispiel Domingo, der nun seinen Chefposten an der Oper in Los Angeles zurücklegte, zeigt, macht sie auch vor den allergrößten Stars nicht halt.
Nach zwei Jahren ist ein durchaus gefestigtes Resümee zu ziehen: Der Verweis aufs Strafrecht geht, wie viele im Laufe der Zeit hinzugekommenen Aspekte der Debatte, am Punkt vorbei. Der ursprüngliche Kern – Frauen zeigen Machtmissbrauch durch Männer auf – lässt sich nicht auf eine juristische Abrechnung hochskalieren, und muss das auch gar nicht. Der große Erfolg der Bewegung ist, dass die Mächtigen im Geschlechterverhältnis aus dem Tritt gebracht wurden. Und die Opfer nicht länger zum Schweigen gebracht werden.
Schwierige Selbstschau für die Kultur
Die Kultur, so geht zumindest die Gefühlsmär, sagt anderen Menschen gerne, dass sie sich zu verbessern haben. Umso härter wurde sie von der #MeToo-Debatte getroffen.
Ausgerechnet die Branche, die mit Gefühlen und Verfeinerung handelt, ist mit voller Wucht erfasst worden: Gerade hier bestimmen wenige Menschen über die Karriere einer Vielzahl an Hoffnungsfrohen. Und gerade hier wurde und wird genau diese Macht besonders perfide missbraucht. Die #MeToo-Bewegung brachte einige der emotional am positivsten besetzten Kulturfiguren ins Wanken und, in einigen Fällen, ins Gefängnis.
Bill Cosby galt gerade für viele Schwarze in den USA als superpositiv besetztes Vaterbild. Das auch in seinen Rollen gepflegte Spiel mit Gemeinheit von Kevin Spacey war gerade bei jenen besonders gelitten, die derartige Fiesheit im Alltag sofort verurteilen würden. Und ja, auch die Entzauberung des Ausnahmetenors Plácido Domingo schmerzt viele Opernfreunde bis ins Mark.
Europa ist anders
Die Auswirkungen von #MeToo waren dennoch weitreichend. Auch wenn die Kultur in der Neuordnung der Geschlechterbeziehung vor einer Zusatzaufgabe steht, die sich in anderen Bereichen nicht stellt: Sie lebt, auch in der Meinung vieler Künstlerinnen, von ins Positiven gewandelten Grenzüberschreitungen, etwa zwischen Regisseur und Darstellern.
In den USA werden nach Vorwürfen, dass diese Grenzen überschritten wurden, rigorose Konsequenzen gezogen. Europa ist anders: Hier ist die Genieverliebtheit größer, und hier wird den Ausnahmetalenten schneller verziehen (und so manches Gerücht zwar am Köcheln, aber auf kleiner Flamme gehalten). Domingo tritt weiter auf, Dirigenten schütteln schwere Vorwürfe rasch ab, bevor es zum nächsten europäischen Spitzenjob geht. Die Selbstschau bleibt schwierig.
Sensibilität am Arbeitsplatz ist gestiegen, „aber nicht überall“
Und wie hat sich die #MeToo-Bewegung auf das Zusammenleben am Arbeitsplatz ausgewirkt?
Für Sabine Wagner-Steinrigl von der Gleichbehandlungsanwaltschaft in Wien hat #MeToo vor allem mehr Bewusstsein und Sensibilität für das Thema geschaffen. Gestärkt durch die Erfahrungen und Solidarität anderer, würden sich auch mehr Frauen trauen, sich gegen Übergriffe zu wehren. Vor allem im Sozial- und Bildungsbereich sei daher die Anzahl der Fälle gestiegen, berichtet Wagner-Steinrigl. Im Vorjahr landeten 240 Fälle sexueller Belästigung vor der Gleichbehandlungsanwaltschaft, das war etwa ein Drittel aller Diskriminierungsfälle. „Es tut sich was, aber nicht überall“, erklärt die Anwältin. Aufholbedarf ortet sie in männerdominierten Branchen, etwa in der Industrie. „Dort, wo alte weiße Männer an der Macht sind, tut sich wenig“.
Sexuelle oder geschlechtsbezogene Belästigung gilt nach dem Gleichbehandlungsgesetz (GlBG) als unzulässige Diskriminierung. Anstößige Witze oder unerwünschte Berührungen fallen ebenso darunter wie Einschüchterungen, Erniedrigungen, Anfeindungen oder Beleidigungen. Der Arbeitgeber muss im Rahmen seiner Fürsorgepflicht seine Beschäftigen vor sexueller Belästigung schützen. Wird eine festgestellt, muss er Maßnahmen setzen, die im Verhältnis zur Belästigung stehen. Je nach Schwere reicht das vom klärenden Gespräch bis zur Entlassung.
Schwieriger Beweis
Weil bei sexueller Belästigung ein Beweis schwierig ist, sieht das GlBG eine „Glaubhaftmachung“ vor. Dies ist etwa der Fall, wenn es Zeugen oder weitere Betroffene gibt. Bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz besteht Anspruch auf Schadenersatz in Höhe von mindestens 1.000 Euro. Der Anspruch besteht gegenüber dem Belästiger aber auch gegenüber dem Arbeitgeber, wenn dieser es unterlässt, Abhilfe zu schaffen. Die Ansprüche müssen binnen drei Jahren geltend gemacht werden.
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