Machtmissbrauch im Sport: "Immer mehr trauen sich, zu reden"
Sexuelle Gewalt und systematischer Machtmissbrauch im österreichischen Skisportbetrieb: Nicola Werdenigg deckte 2017 Missstände auf. Kurz nach dem Bekanntwerden des Weinstein-Skandals und der Initiative #MeToo. Nach zwei Jahren sieht sie positive, gesellschaftliche Ämderungen und mehr Rückhalt nach Anfeindungen.
KURIER: Zwei Jahre nach dem Beginn der Initiative #MeToo – was ist geblieben?
Nicola Werdenigg: Es hat sich viel getan. Es ist ein enormes Bewusstsein in der Öffentlichkeit entstanden für etwas, das vorher ein Tabuthema war. Wir merken, dass sich immer mehr Menschen trauen, darüber zu reden, was ihnen selbst passiert ist.
Warum ist das wichtig?
Ich bin mir sicher, und nicht nur ich – es ist Expertenwissen –, dass durch den Bruch des Tabus Übergriffe weniger werden. In dem Moment, wo potenzielle Täter wissen, dass hingeschaut wird, gibt es Rückgänge.
Es müsse um Machtgefälle gehen – nicht um einzelne Promi-Namen, sagt die Erfinderin des Hashtags MeToo, Tarana Burke. Ist das in der Gesellschaft angekommen?
Mir wird das Machtgefälle zu wenig thematisiert. Wir haben das jetzt wieder bei Plácido Domingo gesehen. Für mich gibt es übrigens eine Parallele mit Toni Sailer, als der Fall hochkam (2018 wurden Vergewaltigungsvorwürfe gegen Skilegende Sailer bekannt, Anm.). Diese Menschen in Machtpositionen nützen die Position aus. Gar nicht so bewusst, möglicherweise. Viele denken: ’Das steht mir zu, das kann ich machen’. In dem Moment, wo die Öffentlichkeit sagt, ’das geht nicht’, ist zumindest dieser Teil angesprochen.
Wenn bekannte Künstler oder Sportler als mutmaßliche Täter geoutet werden, richtet sich die Kritik oft gegen jene, die Fälle öffentlich machen. Wie erklären Sie sich das?
Das Thema polarisiert. Der aufgeklärte Teil der Gesellschaft hat nicht so die Notwendigkeit, sich mit einem Sportler oder Künstler zu identifizieren. Es gibt aber auch Menschen, die nahe dran sind, die in den Metiers tätig sind – sei es im Skisport oder der Kunst. Sie sehen dadurch ihr Umfeld angepatzt. Die Wogen gehen hoch – gegen die Aufdeckerinnen und Aufdecker. Auf der anderen Seite ist der Rückhalt wahnsinnig stark gewachsen.
Wie reagierten Sie persönlich auf die Anfeindungen?
Ich konnte und kann mir sehr, sehr gut helfen, indem ich mich nicht persönlich betroffen fühle. Es geht um Mechanismen, nicht gegen meine Person. Menschen fühlen sich aus einem System heraus bedroht.
Welches System?
Die Betroffenheit löst diese Reaktionen aus. Man weiß aus der Psychologie, dass jeder und jede in irgendeiner Form von sexueller Gewalt betroffen ist. Sei es als Opfer, sei es als Zeuge oder Zeugin, als Täter oder Täterin.
Sie haben 2018 den Verein #WeTogether zur Prävention von Machtmissbrauch im Sport gegründet. Melden sich noch immer Betroffene?
Ja. Es geht in Schüben. Etwa nachdem in Oberösterreich im Frühling zwei Frauen mit einem mutmaßlichen Missbrauch durch einen Langlauftrainer an die Öffentlichkeit gegangen sind. Die Mutigen, die vorangehen, rufen Wellen hervor.
Was muss sich ändern?
Ich habe einen konkreten Wunsch, der durch die Regierungskrise und die vorherige Regierung nicht umgesetzt wurde. Wir brauchen in Österreich im Sportbereich eine Studie, wie sie in Deutschland vorhanden ist. Sie heißt Safe Sport. Es geht um die Schließung von Forschungslücken und die Prävention von sexueller Gewalt im Sport. Die Studie war im Sportministerium unter Strache bereits budgetiert und abgesegnet, ist dann aber in der Schublade verschwunden.
Gibt es Zahlen in Österreich, wie viele Sportlerinnen und Sportler von sexueller Gewalt betroffen sind?
Es gibt von ’Safe Sport’ Zahlen für Deutschland. Sie werden in Österreich nicht besser ausschauen, möglicherweise sogar etwas schlechter. In Deutschland ist jeder, jede Neunte von schweren Übergriffen betroffen. Etwa ein Drittel der Befragten hat schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erlebt. Die Mehrheit der Betroffenen ist bei der ersten Gewalterfahrung jünger als 18 Jahre.
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