„Wäre die Natur behaglich, hätten die Menschen die Architektur nicht erfunden“ ist ein Bonmot von Oscar Wilde. Aber was macht ein Architekt? Er entwirft Häuser und lässt sie von Handwerkern bauen. Er hat eine Ahnung davon, wie ein Haus sein muss, damit es nicht einstürzt. Das nennt man Statik. Und er sollte einen Sinn dafür haben, dass das Haus nicht nur innen praktisch strukturiert ist, sondern auch schön aussieht.
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Früher zeichneten Architekten ihre Ideen auf Papier. Heute gibt es Computerprogramme, dass man ein Gebäude schon räumlich – dreidimensional – sehen kann, bevor es da ist. Die einen machen oft im Dienst von „Immobilienentwicklern“ primär funktionale Zweckbauen, die allerdings mitunter das Auge beleidigen. Aber Developer entwickeln ein Bauwerk nicht, um Architektur sondern Kapital sprich Profit zu produzieren.
Andere wie Coop Himmelb(l)au kreieren mit großer Geste vielerorten einen Solitär, über den die Welt spricht: etwa den gläsernen Doppel-Büroturm Europäische Zentralbank in Frankfurt a. Main. Oder das Aufmerksamkeit heischende Musée des Confluences in Lyon an der Südspitze der Halbinsel zwischen Rhône und Saône. Auf diese dekonstruktivistische Orgie ist Wolf Prix besonders stolz. Für ihn ist Architektur eine „Plastik, aber sie hat ein Klo“.
Sie müsse auf jeden Fall Emotionen erzeugen, sagt 80-Jährige, der zugibt: „Die Idee der optimistischen Gedankengebäude“ der „jungen Wilden“ von seinerzeit „war nicht durchsetzbar“. Was Herman Melville einmal schreiben ließ: „Ich wollte, der Wind hätte einen Körper.“ Oder anders gesagt: Räume sollten sich wie Wolken verändern können.
Groß bleibt die Herausforderung, unseren Lebensraum unter technischen, wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Aspekten zu gestalten. Auftraggeber zu beraten und zu betreuen, die Bauausführung zu planen und überwachen, hat wenig Glamouröses, ist mehr die Mühe der Ebene, wenn sich Frank Gehry fragt: „Ich verstehe nicht, warum Leute Architekten beauftragen und diesen dann sagen, was sie zu tun haben.“
Traumberuf mit schlechter Work-Life-Balance
Architekt ist für viele ein Traumberuf, obwohl die Arbeitsbedingungen hart sind. Und Prix kritisiert: „Die immer größer werdenden Zwänge im Architekturprozess verleiten die Architekten zu vorauseilendem Gehorsam. Die Architektur wird zur Zwangsarchitektur.“
Auch Günther Domenig galt als Künstlerarchitekt, der, so Prix, baute wie andere boxen: „Wir müssen immer streiten, wenn wir was Neues machen wollen.“ Er baute, „damit die Denkmalpflege auch später etwas zu tun hat“. Vereinfacht gesagt: Es gibt die gottbegnadeten Schöpfer, die eigentlich nicht Pläne realisieren, sondern Kunst erschaffen - und den großen Rest der Dienstleister, also jene bei Verbänden, Behörden oder Immobilienbüros, die als Bauleiter auf der Baustelle drauf schauen, dass es nicht durch das Dach regnet und alles zum vereinbarten Zeitpunkt fertig ist. Idealerweise innerhalb des berechneten Kostenrahmens.
Das Bebauen im großen Maßstab führt zwangsläufig zu Fehlern. Auch zu großen Fehlern. Jenseits der Donau, wo die schon einst imposante UNO-City marginalisiert erscheint. Oder in der Seestadt Aspern, die den Bewohnern nicht grün genug ist. Oder bei den Mega-Wohnblocks an der Peripherie von Paris: Von Andreas Gursky fotografiert, sieht's eindrucksvoll aus. Aber wer will das Wohnen als Hasenstall-Syndrom noch einmal bauen? Es ist nur ein Teil unserer oft schrecklichen gebauten Wirklichkeit, aber kein Modell.
Alvar Alto brachte es auf den Punkt: „Es gibt nur zwei Dinge in der Architektur: Menschlichkeit oder keine.“
Über Geschmack und Schönheit lässt sich sehr wohl streiten. Denn bei jedem Projekt stellt sich auch die Frage der Proportionen, des Materials, wie sich ein Gebäude zu seiner Umgebung verhält. Fügt es sich stimmig ein, wird da Baugeschichte weitergeschrieben, oder wird sie abrupt beendet? Es gelten Kriterien der Handwerklichkeit und Regelhaftigkeit. Und es ist wichtig, wenn solche Regeln eingehalten werden und zu einem guten Ergebnis kommen. Zum Beispiel zu einem Haus, das schön ist. Zu Orten, die dem steten Fluss der Veränderung trotzen und einem die charmante Illusion der Beständigkeit bescheren: das Quintessenzielle unter Denkmalschutz, die oft vernachlässigte Altbausanierung und Denkmalpflege. Denn die Wiederkennbarkeit, die Vielfalt eigenständiger Fassaden empfinden viele Menschen als schön und damit wünschenswert.
Was heißt hier modern?
Saniert und revitalisiert wurde zuletzt von amb.development die von Josef Frank 1935 erbaute Immobilie für den Papierindustriellen Hugo Bunzl in der Chimanistraße in Wien Döbling. Zu haben um kolportierte sieben Millionen Euro. „Wiener Moderne, aber nicht Bauhaus“, erklärt Hermann Czech. „Denn Frank stand dem Diktat der Formensprache der Bauhaus-Moderne kritisch gegenüber.“ Und postulierte: „Modern ist das Haus, das alles in unserer Zeit Lebendige aufnehmen kann und dabei doch ein organisch gewachsenes Gebilde bleibt.“
Und wenn ein Gebäude zum Beispiel seine Umgebung aufwertet oder die Ideenwelt in irgend einer Weise anregt, etwa weil viele Menschen darüber sprechen. „Das gute Bauen“ ist in einer Gegenwart, in der große Weltprobleme wie Verstädterung, Klimawandel, Ökologie, Infrastruktur, Bodenraubbau und leistbares Wohnen verhandelt werden, eine Mammutaufgabe. Vor diesem Hintergrund und angesichts der großen gesellschaftlichen Herausforderungen müssen Architekten ihren Beruf neu erfinden und beides sein: Rationalisten und Utopisten.
Architekten und Stadtplaner, Experten, die über Verkehrsströme, neue Wohnformen, ein neues Bodenrecht oder auch nur darüber nachdenken, ob der Nachverdichtung in den Städten nicht wenigstens eine Nachbegrünung korrespondierend gegenüberstehen müsste, befinden sich im Epizentrum grundlegender, alles entscheidender Zukunftsfragen.
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