Was macht eigentlich ... eine Lektorin?
Im Leben von Tanja Raich dreht sich zwar nicht alles, aber doch vieles um Geschichten. Sie sind der Anfang und das Ende ihrer Arbeit als Lektorin. Als solche muss sie sich um die Qualität und Richtigkeit des Geschriebenen kümmern. Das ist aber noch lange nicht alles, mit dem sich die 37-Jährige von früh bis spät beschäftigt: Die eingereichten Manuskripte müssen gelesen und bewertet, Buchprojekte vorangetrieben, Autorinnen und Autoren bei Laune gehalten werden. Dann gilt es noch Kosten zu kalkulieren, Zeitpläne zu erstellen, mit dem Marketing, dem Event-Management Rücksprache zu halten.
Sie sehen also, liebe Leserinnen und Leser, der Beruf Lektorin ist ein sehr abwechslungsreicher. Das Schöne daran ist: Man ist von Anfang bis zum Schluss dabei - von der ersten Begutachtung einer Geschichte bis zum Druck eines Buches. Dazwischen ist aber nicht immer alles schön, denn man geht durch Höhen und Tiefen: "Es gibt alle Krisen, die man sich vorstellen kann - von Panikattacken über Wutausbrüche und Meinungsverschiedenheiten mit den Autoren ist alles dabei. Das Handtuch hat bei mir aber noch nie jemand geworfen", versichert die Lektorin dem KURIER augenzwinkernd.
Abläufe
Die studierte Germanistin und Historikerin war zehn Jahre bei dem Verlag Kremayr & Scheriau tätig. Dort habe sie in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet: "Ich habe anfangs die Pressearbeit gemacht, dann Veranstaltungen organisiert, mich ums Marketing gekümmert. In all diesen Jahren wollte ich aber immer ins Lektorat, was dann zum Glück auch geklappt hat“, sagt sie. Als Mentorin und Unterstützerin führt sie dann Barbara Köszegi an, die damals bei Kremayr & Scheriau Verlagsleiterin war. "Ich habe dort als Lektorin eine neue Literaturreihe mit Fokus auf Debütromane ins Leben gerufen. Der größte Erfolg war Toni Schachingers Erstling ,Nicht wie ihr', sagt Raich.
Im Jänner 2021 ist die gebürtige Südtirolerin zum Leykam-Verlag gewechselt, wo sie eigentlich auch alles mache: "Ich bin hier Lektorin und Programmleiterin. In kleinen Verlagen ist das anders als in großen. Meistens ist es in großen Verlagshäusern so, dass man klare Zuständigkeitsbereiche hat. Bei kleinen Verlagen, wie bei Leykam, sind alle in alle Bereiche involviert. Wir prüfen gemeinsam die uns zugeschickten Manuskripte, entscheiden dann gemeinsam, was wir verlegen wollen bzw. können", gibt Raich Auskunft über die internen Abläufe.
Immer auf der Suche
Als Lektorin sei man eine Art Trüffelschwein: Immer auf der Suche nach einer guten Geschichte im Blätterwald. "Wir bekommen zirka 30 Manuskripte in der Woche. Wir schauen uns alles an, was im Posteingang landet. Aber man merkt schnell, ob das etwas für uns, für den Verlag ist, oder nicht. Wir stellen uns dabei die Fragen: Passt das zu uns, können wir das betreuen, haben wir die Ressourcen. Es ist niemanden geholfen, wenn dann keiner ausreichend Zeit dafür hat.“.
Man wird nicht als Lektorin geboren, man kann dieses Fach nicht studieren und keinen Kurs bei der Volkshochschule, bei Humboldt belegen. "In diesen Beruf wächst man einfach hinein", sagt Raich. "Es ist einfach Learning by Doing. Wesentlich ist dabei natürlich, dass man sich mit Grammatik und Rechtschreibung auskennt. Anfangs ist man da selbst als Germanistin natürlich noch unsicher, googelt lieber alles noch einmal nach bzw. schlägt das Wörtbuch auf. Aber je länger man als Lektorin arbeitet, desto sicherer wird man.“
Mitbringen
Was sollte man, abgesehen von guten orthografischen wie sprachlichen Kenntnissen, noch so alles als Lektorin mitbringen? "Ich glaube, ein springender Punkt ist tatsächlich, dass man sich in das Geschriebene, in die Gedanken des Autors, der Autorin hineinfühlen kann. Man muss in einen Text eintauchen können, den Rhythmus und Stil inhalieren. Es bringt nämlich nichts, wenn der Autor, die Autorin in kurzen Sätzen schreibt und man als Lektorin lange, verschachtelte Sätze daraus macht. Oder wenn ich als Lektorin in einen Text, der komplett ohne Fremdwörter auskommt, Fremdwörter hineinreklamiere, löst das nur eine ablehnende Haltung aus“, weiß Raich. Die Folge sind mühsame Auseinandersetzungen und Konflikte. "Man muss sich als Lektorin die Kämpfe aussuchen, die man austragen möchte. Es hat zum Beispiel auch keinen Sinn, wenn man mit jemanden 20-mal über die zu häufige Verwendung eines Wortes zu diskutieren.“
Wenn es um inhaltliche Verwirrungen geht, die Handlung nicht schlüssig ist, dann muss die als Lektorin aber auf alle Fälle eingreifen. Dazu suche sie meistens das persönliche Gespräch, in dem dann Unverständlichkeiten, unsaubere Formulierungen und Brüche in der Geschichte gemeinsam besprochen werden, sagt Raich, die auch die andere, die Autorenseite kennt. Denn sie schreibt und veröffentlicht selber Bücher, arbeitet dafür natürlich auch mit Lektoren zusammen. Als Autorin wisse sie, wie wichtig es ist, ein gutes Lektorat zu haben. Erste größere Bekanntheit erlangte Raich mit ihrem 2019 erschienen Debütroman "Jesolo", der die Geschichte einer überraschend und ungewollt schwanger gewordenen jungen Frau bis zur Geburt des Kindes erzählt.
Feuerwerk
Was sollte ein Manuskript vorweisen, damit die Chancen auf eine Veröffentlichung gut stehen? "Das kann man natürlich nur subjektiv beantworten, weil es natürlich darauf ankommt, jeder das anders lesen, jedem was anderes begeistert. Aber eigentlich ist es trotzdem so, dass in einem Buch zwei Dinge zusammenkommen müssen. Das ist einerseits der Inhalt und andererseits die Sprache. Wenn diese Dinge sich treffen, dann gibt es ein Feuerwerk und dann sind wir begeistert.
Was kann eine gute Lektorin aus schlechten Büchern noch rausholen? "Das ist sehr unterschiedlich zu beantworten. Es ist immer ein Gemeinschaftsprojekt. Als Lektorin versucht man, Texte zu polieren, damit sich richtig schön glänzen, man will das das Beste vom Bestmöglichen rausholen. Dazu gehört es dann auch oft, dass man Texte rigoros kürzt. Oft muss man Figuren rausstreichen und einen ganzen Strang reduzieren oder die Perspektive umschreiben. Oder aus einer indirekten Rede eine direkte Rede verwandeln, um das Ganze lebendiger zu gestalten", sagt Raich.
Sieben Fragen an Tanja Raich
Der beste erste Satz in einem Buch?
Das war gestern Abend so um zwölf, da fühlte ich, dass etwas Großartiges in mir vorging. Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen
ZUR PERSON: Tanja Raich wurde 1986 im Südtiroler Meran geboren, sie lebt als Lektorin und Autorin in Wien. Ihr Debütroman "Jesolo" wurde für den Österreichischen Buchpreis Debüt 2019 sowie für den Alpha Literaturpreis 2019 nominiert. Im Februar 2022 ist die von ihr herausgegebene Anthologie "Das Paradies ist weiblich. 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben" bei Kein&Aber erschienen, im August 2022 ihr zweiter Roman "Schwerer als das Licht" bei Blessing. Fertig ist sie auch bereits ihr neues Buch „Frei sein. Das Ringen um unseren höchsten Wert“. Es erscheint im März 2024 ebenfalls bei Kein & Aber. Mehr Infos darüber lesen Sie auf der Homepage von Tanja Raich.
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