Harris gegen Trump: Was für ein Theater!
Georg Leyrer
11.09.24, 09:46Ja ja, es steht das Schicksal der Welt auf dem Spiel, das TV-Duell zwischen Kamala Harris und Donald Trump ist mit Wolkenkratzer-Bedeutsamkeit aufgeladen. Es war aber auch, wie alles, was den Amerikanern im Fernsehen wichtig ist, großes Theater zwischen Shakespeare'schen Machtkämpfen, Nestroy-hafter (Selbst-)Entblößung der Mächtigen und Beckett'scher Absurdität.
Mit klarer Rollenverteilung: Trump spielte den Onkel, der - Einwanderer essen unsere Katzen! - zu viel Zeit allein im Internet verbracht hat. Und Harris die Geschwister beim Familienfest, die hoffen, dass sie nun gegen das Husten und Prusten des bösen Wolfs endlich ein Haus aus Ziegelsteinen gebaut haben - aber, wie im Märchen, vergessen haben, den Kamin abzusichern.
Für die Ränge gespielt
Die Optik war jene der Reality-Shows, aber gespielt wurde Theater - und zwar, wie es in der Eliten-verliebten Bühnenkunst heißt, für die Ränge und nicht fürs Parkett. So langatmige Dinge wie Visionen für das Land musste keiner von beiden entwickeln oder zu formulieren versuchen. Es ging mit allerlei rhetorischen Kniffen -Begraben will ich Cäsarn, nicht ihn preisen - einzig und allein um die Emotion am Stehplatz. Und bei der ist ein Sieg in Orwell'scher Diktion zuweilen zugleich auch eine Niederlage.
Harris war die, die den Babyelefanten ärgern sollte: Sie lieferte gut geprobte Schlagsätze, die dorthin zielten, wo es Trump - man erinnert sich an die Geste von Barack Obama - weh tut. Sie machte es sich zur Aufgabe, die Tricks des Zauberers, des Blenders einen nach dem anderen zu verraten. Die Größe des Publikums, die Rhetorik des Verkäufers, der Trump auch in der Politik ist, und Trumps eigene Waffe gegen Biden, das Alter - sie drückte auf all das drauf.
Das war gut einstudiert, hatte Rhythmus und, nach einem anfänglichen Patzer, jene Kürze, nach der der Broadway getaktet ist: Alle 90 Sekunden eine Pointe, ein Applaushascher, ja nicht die Aufmerksamkeit verlieren.
Und es hatte einigen Erfolg: Trump musste seine Rolle bis zur Kenntlichkeit spielen. Er ärgerte sich, er sprach über sich und nicht, wie Harris vermerkte, über die Bedürfnisse der Menschen, er verfiel in Volksschul-Argumentationsstrukturen ("Sie sind schwach" - "Nein, Sie sind schwach"), er spielte den Trump, also zorniges Improvisationstheater, einen Stegreif-Poetry Slam für die dem System Entfremdeten.
Und für die Schnipselmaschine des Internet
Das TV-Publikum ist immer noch die Maßeinheit in Amerika. Harris zielte aber auch auf eines, das ihr vielleicht noch wichtiger ist: Das Publikum der großen Schnipselmaschine der Sozialen Medien. Vieles, was sie tat, war darauf getrimmt, als kurzes Video geteilt zu werden, insbesondere in ihrer einstudierten Mimik: Sie zog die Augenbrauen hoch, sie tat in übertriebenem, spöttischem Ausmaß so, als höre sie Trump interessiert zu, um nachher zu lächeln, sie sprach in Sätzen, die für sich wirkten. So spielt man für die Kamera - und so spielt man vor allem für den kleinen Bildschirm. Es ist die Art von sofort verständlicher Stummfilm-Mimik, für die man beim Scrollen kurz Pause macht.
Und auch das mit einigem Erfolg: Schon während der Debatte wurde das Netz mit den griffigsten Sagern, den wildesten Momenten geflutet, und diese Videos werden bis zur Wahl immer wieder geteilt werden. Wer immer hier ihr Regisseur war: Die Inszenierung, mit der die verschiedenen Ebenen bespielt wurden, war vorbildliche Personenführung.
Die Bühne aber hat, das weiß man, ihre eigenen Gesetze. Eines davon: Die Solidarität des Publikums ist komplex und nur bedingt steuerbar. Wer allzu sehr als Bösewicht auf der Bühne präsentiert wird, weckt oftmals den gegenteiligen Effekt. Ein Phänomen, das auch auf der TV-Debatten-Bühne eine Rolle gespielt haben könnte. Denn Harris lieferte Trump die Chance, sich als Erz-Trump, als Trump-Essenz zu präsentieren, als chaotische Kraft, die nach ihren eigenen Gesetzen funktioniert. Und auch wenn sich die Demokraten - nicht die Partei, sondern die, die die Demokratie bewahren wollen - noch so die Haare raufen: Das hat eine starke Anziehungskraft auf die Hälfte des Publikums.
Eine Bühne auch für den zerstörerischen Geist
Trump prustete und hustete, aber Harris blies sein Haus nicht um, vielleicht im Gegenteil: In einer politischen Inszenierung, die - derzeit weltweit, auch in Österreich - vom zerstörerischen Geist eines Sommernachtsalbtraums bestimmt wird, mehr vom Abwählen des Geordneten und Gemäßigten als vom Wählen des Neuen, konnte sich Trump hier als das ultimative Destruktive, als der Hofnarr einer wackeligen Demokratie darstellen: Nein, hinter seiner Emotion, hinter seinem Ärger und seiner Bereitschaft zum Beleidigtsein ist keine Politik zu finden, das konnte er hier zeigen. Na und?
Harris souveräner Auftritt als - bitte mit tiefer Stimme und ein bisschen Hall im Kopf lesen - die Vernünftige, die Normalere, die Gescheitere gab auch Trump eine Bühne, eine mehr existentielle, performative: Hier wurde nach guter neuer Tradition ein Stück entwickelt über die Politik, die Wähler und das Internet, vor dem das althergebrachte Publikum noch ratloser sitzt als sonst. Für das es aber am Ende durchaus auch mehr Applaus geben könnte, als die Kritiker meinen.
Vorerst aber applaudierte das Parkett der Hauptdarstellerin: Harris habe, so sagen die, die sich mit Politik auskennen, diese Debatte klar gewonnen. Der Vorhang fällt; man ahnt aber, dass er nach der Pause wieder aufgeht - und das Stück ganz anders weitergeht.
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