Sitzt, passt, hat Luft: Die rätselhafte Magie des Baumarkts
Ein Bekannter Ihres Autors erzählte einmal, er gehe so oft wie möglich in den Baumarkt. Er brauche meistens nichts von dort, es gehe ihm auch nicht darum, etwas zu brauchen, sondern dort zu sein. Und manchmal kaufe er dann, einfach so, „ein neues Nussenset“. Inzwischen habe er 15 „Nussensets“ zu Hause, ergänzte der Bekannte mit glänzenden Augen.
(Und ich wagte nicht, ihm zu sagen, dass ich nicht die geringste Ahnung hätte, was ein „Nussenset“ sei.)
Als am Dienstag nach wochenlanger Sperre die Baumärkte öffneten, bildeten sich sofort mehrere Hundert Meter lange Schlangen. Und im Internet brach ein in dieser Heftigkeit selten erlebter Verbalkrieg aus, zwischen denen, die ihre Empörung über die Baumarktschlangensteher zum Ausdruck brachten – und jenen, die sich über die Baumarktschlangensteherempörer empörten.
Land der Dübel
Man sieht: Der Baumarkt ist in Österreich, dem Land der Selbermacher, der Autowäscher, der Terrassenkärcherer, der Fliesenleger und Fugensilikonierer, dem Land der Hämmer, der Bohrer, der Dübel und der Rohrzangen, nicht einfach ein Geschäft.
Sondern er ist ein heiliger Ort. Eine Stätte der Zuflucht, der Sehnsucht, der Sicherheit. Und nicht zuletzt ist er jener Ort, an dem eine durch Feminismus, Digitalisierung und dieses Virus verunsicherte Männlichkeit Labsal findet. Kratzer in der Männlichkeit lassen sich mit Maschinenöl, Dispersionsfarbe und Schmirgelpapier behandeln!
Krieger
These: Die Corona-Krise ist vielleicht der letzte Nagel (bzw. die letzte Kreuzschlitzschraube) im Sarg traditioneller Männlichkeit. Das Virus verdammt den Mann zum Nichtstun, denn er kann es nur bekämpfen, wenn er stillhält. Im Baumarkt dagegen bekommt er die Illusion zurück, ein Krieger zu sein, denn dort findet er Vorschlaghämmer, Kreissägen, Schlagbohrmaschinen und anderes schweres Kriegsgerät, das ihm Gelegenheit zur testosterontreibenden Aufrüstung gibt. Und seinem Jagdtrieb kann er dort auch nachgehen – es ist gar nicht so leicht, im Baumarkt einen Verkäufer aufzuspüren und zu erlegen, dazu braucht es Geschick, Mut und Erfahrung.
Und natürlich ist das alles, wir erwähnten es schon, reine Illusion: Längst sind auch im Baumarkt die Frauen dabei, das Kommando zu übernehmen, und zwar nicht mehr nur über Blumenerde und Oleander-Töpfe. Gut so!
Demütigung
An dieser Stelle ist ein Geständnis notwendig: Der Autor dieser Zeilen hat den Lockruf des Baumarkts nie vernommen. Offenbar fehlt mir dafür irgendein Gen. In Baumärkten habe ich immer Angst, dass mir diese chromblitzenden Gerätschaften mit rätselhaften Namen auf die Zehen fallen oder sonst wie meine körperliche Integrität infrage stellen. Dazu kommt die seelische Verletzung einer ständigen Demütigung. Baumarkt-Mitarbeiter wittern die Angst des Unwissenden und beantworten jede Frage, egal welche, mit „Verflanscht oder unverflanscht?“
Einmal habe ich es doch versucht, habe im Baumarkt diverse Waren erworben und dann zu Hause etwas repariert. Danach lagen drei Straßenzüge in Schutt und Asche und standen knietief unter Wasser.
Mach es selbst!
Baumärkte sind aus volkswirtschaftlicher Sicht ein zwiespältig’ Ding. Einerseits untergraben sie die Grundübereinkunft einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Die da lautet: Mein Installateur schreibt sich seine Kolumnen nicht selber, dafür montiere ich keine Kloschüsseln.
Andererseits halten sie eine schnurrende Do-it-your-self-Maschine am Laufen (und, wir dürfen es nicht verschweigen, auch eine geschmeidig pulsierende Schattenwirtschaft).
Und weil wir das Selbermachen angesprochen haben: Vielleicht liegt hier die wichtigste psychologische Funktion des Baumarkts. Er gibt in einer hoch kompliziert gewordenen Welt Übersicht: Da ist der Gang mit dem Holz, daneben der mit der Farbe. Und man kann alles reparieren, wenn man nur die Ärmel aufkrempelt und ein neues Nussenset hat.
In einigen Hundert Jahren werden Archäologen vielleicht einen alten Baumarkt ausgraben und sagen: Ja, da sind die Menschen einmal hingegangen, wenn sie nicht weiter wussten.
Sitzt, passt, hat Luft.
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