"Scheiß drauf": Strategischer Grobianismus

Kulturforscher Thomas Mießgang über den Verfall der Sitten und was daran gut ist.

Fluchende Tatort-Kommissare, nervtötende Mobiltelefonierer, enthemmte Kampfposter: Wir sind auf dem Weg in die Rüpelgesellschaft.

Kulturforscher Thomas Mießgang hat sich in seinem Buch „ Scheiß drauf – Die Kultur der Unhöflichkeit“ angeschaut, ob wir tatsächlich einen großflächigen Sittenverfall erleben. Er betrachtet Subkulturen, in denen die Negierung aller Regeln geradezu gefordert wird, wie in der Rock- und Punkmusik. Er analysiert Rituale des Feierns, in denen Exzess erwünscht ist, und er beleuchtet die Rolle von digitalen Medien und sozialen Netzwerken.

Ausgangsbasis war der gesellschaftliche Befund, dass alles rüder und ruppiger wird. Der Gefahr des kulturpessimistischen Lamento ist sich der Autor durchaus bewusst: „Man erinnere sich an das Sokrates-Zitat von der verkommenen Jugend:Die Klage über den Verfall der Sitten ist ein zivilisatorisches Begleitrauschen seit Anbeginn der Menschheit. Allerdings wird heute durch die neuen Möglichkeiten der Vergesellschaftung wie soziale Netzwerke viel mehr Privates in die Öffentlichkeit getragen und umgekehrt – Richard Sennet nennt das ,Tyrannei der Intimität‘. Die Vervielfachung der medialen Oberflächen führt dazu, dass Unhöflichkeit deutlich sichtbarer wird.“

Es gebe eine Zunahme von Vulgarität in allen Lebensfeldern – Mießgang führt das auf eine Entsolidarisierung innerhalb der Gesellschaft zurück. In seiner Hitparade der Bösen kommen Bekannte wie Bohlen, Brüderle und Berlusconi vor: Unsympathler, denen er auch interessante Aspekte abgewinnen kann. Berlusconi sei „ein burlesker Querschläger. Er bricht das Normverhalten auf.“

"Scheiß drauf": Strategischer Grobianismus
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Der Autor plädiert für einen strategischen Grobianismus, der von der Vulgarität zu unterscheiden sei: „Der strategische Grobianismus, der sich Verhaltenskonventionen, die zu rituellen Masken erstarrt sind, verweigert, kann etwas bewirken. In der Rockmusik ist das ja Eintrittsbedingung. Aber auch Helmut Schmidt ist ein Symbol: Ein rauchender alter Mann im Fernsehen ist eine Ansage.“

Natürlich hat auch die Kunst immer mit dem gezielten Tabubruch gespielt – von Marcel Duchamps Urinoir über Henry Miller bis zu Hermann Nitsch. Tabubruch muss also nicht unbedingt eine Verwahrlosung der Sitten anzeigen, sondern kann auch Möglichkeiten der Emanzipation in sich bergen.

KURIER-Wertung:

INFO: Thomas Mießgang: „Scheiß drauf. Die Kultur der Unhöflichkeit.“ Rogner & Bernhard. 198 S. 20,60 € Register von Adorno bis James Bond und Queen Mom.

So schimpfen Wienerinnen und Wiener:

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