Seid's deppert?

I håss des! Zwei von drei Befragte schimpfen, um sich abzureagieren
Eine Germanistin aus der Ukraine interessiert sich für das Schimpfen und Fluchen - und zwar in erster Linie in Wien.
Von Uwe Mauch

Sie kennt sie alle: Die in Österreich gerne in den Mund genommenen Schimpftiraden, die vulgären Aufschriften an Hauswänden, die zum Himmel geschrienen Flüche, die schweren Beleidigungen gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Und man fragt sich: Wie kommt eine Germanistin aus gutem Haus, noch dazu aus der westukrainischen Stadt Lviv (Lemberg) dazu, zur österreichischen Expertin für Schimpf- und Fluchwörter zu werden?

Höfliche Befragung

Oksana Havryliv, die an der Universität Wien angestellt ist, lächelt, auffallend unaggressiv. Kurzum, es ist ihre Liebe zur deutschen Sprache. Und es war die frühe Erkenntnis, dass das Thema ihrer Diplomarbeit "Die Valenz und Distribution der deutschen Temperatur-Adjektive" für die Germanistik gewiss Bedeutung hat. Fürs tägliche Leben hingegen kaum. Seit dem Jahr 2006 kann sich Havryliv dank zweier Stipendien des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF auf das konzentrieren, was auch uns Normalverbraucher immer wieder fasziniert. Die Germanistin spricht streng wissenschaftlich von „verbaler Aggression“, unsereins delektiert sich hingegen lieber an der Reichhaltigkeit unserer Sprache. Auch deshalb, weil das Schimpfen und Fluchen einen Teil unseres Alltags bestimmt. Die Ukrainerin hat sich in Wien schon viel anhören müssen. „Zumindest bei meinen Interviews.“ Mit dem kleinen methodischen Manko, dass man einer stets höflichen Wissenschaftlerin vielleicht weniger emotional begegnet als einem Oaschloch (zweit häufigste Nennung in ihrer Umfrage) auf dem Fahrrad oder im Automobil.

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Dennoch konnte sie bereits mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen, das bisher auch in der Fachliteratur gepflegt wurde. Die wichtigsten beiden Erkenntnisse: „Bauarbeiter schimpfen nicht derber als Akademiker, und Frauen sind im Ausleben ihrer verbalen Aggression keineswegs moderater als Männer.“ Auch ist es ganz offensichtlich nicht so, dass in erster Linie geschimpft und geflucht wird, um einen andere Menschen zu beleidigen. Zwei von drei Befragten gaben zu, dass sie sich mit einem herzhaften I håss des! oder Mir geht das Geimpfte auf! gut abreagieren können. Nur elf Prozent wollen beleidigen, 25 Prozent verwenden Schimpfwörter scherzhaft.

Hinterm Rücken

Nach mehreren publizierten Studien mit dem Fokus auf Wien zählt Oksana Havryliv inzwischen zu den führenden Experten in ihrem Metier. In ihrer aktuellen Studie geht sie unter anderem von der These aus, dass man in unseren Breitengraden öfters über andere hinter deren Rücken schimpft als ihnen die Meinung ins Gesicht zu sagen. Vielleicht mit Ausnahme diverser wahlkämpfender Kandidaten dürfte sie da absolut richtig liegen.

Info: Die Germanistin sucht Hilfe und bittet Menschen darum, ihren Fragebogen auszufüllen. Dieser kann unter oksana.havryliv@univie.ac.at angefordert werden.

Eine aus der Ukraine stammende Germanistin widmet sich an der Universität Wien der Erforschung des österreichischen Schimpfwortschatzes. (Da sieht man wieder, wie inspirierend das Leben in Wien ist.)

Die ersten schimpfologischen Erkenntnisse liegen bereits vor. So wissen wir jetzt z. B., dass „Trottel“ unser beliebtestes Schimpfwort ist, gefolgt vom „Oa...loch“, „Idiot“, „Sau“ und „Koffer“ (mit oder ohne „Voll-“). Schön ist es auch zu erfahren, dass Schimpfen gesund, weil entstressend ist, und dass öfter scherzhaft als beleidigend geschimpft wird.

Weniger erfreulich ist, dass unsere schöne österreichische Schimpfkultur durch die Zuwanderung fremdländischen Schimpfguts bedroht wird. Die klassischen, an traditionellen Tabus orientierten Schimpfzonen Fäkalschimpfen (Deutsch), Sexualschimpfen (slawische Sprachen, USA), Blasphemie (romanische Sprachen) und Ahnenschmähung (Asien) überlagern sich. Wenn wir nicht aufpassen, werden unsere Kindeskinder nicht mehr wissen, was ein „Oa...loch“ ist. Darf das wahr sein? Heast?

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