MeToo: Hat die Medienbranche ein Problem?
Vom „front row seat to history“ sprach Bild-Chefredakteur Julian Reichelt gern im Zusammenhang mit seinem Job, „da sein, wo es gerade geschieht“. Nun ist er nicht nur in die erste Reihe, sondern in den Mittelpunkt der Berichterstattung geraten: Anfang der Woche wurde Reichelt entlassen, nachdem u. a. die New York Times über Vorwürfe des Machtmissbrauchs berichtet hatte. Er soll mit Mitarbeiterinnen Beziehungen eingegangen sein und ihnen berufliche Vorteile verschafft haben.
In Österreich beschäftigt rund um MeToo eine andere Causa die Medienbranche: Mehrere Ex-Mitarbeiterinnen werfen Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner sexuelle Belästigung vor. Er weist die Vorwürfe zurück, mittlerweile beschäftigen sich mehrere Gerichte damit. Auch diese Woche wurde wieder verhandelt.
In den USA musste 2016 der mittlerweile verstorbene Roger Ailes, Chef des konservativen TV-Senders Fox News, nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung seinen Sessel räumen.
Unterschiedliche Fälle, die eine Frage aufwerfen: Ist die Medienbranche vielleicht besonders anfällig für sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch?
Reinigende Kraft
Journalistin Anneliese Rohrer verneint: „Ich glaube nicht, dass es mit den Medien als solche zu tun hat. Es ist eine Frage des Status der jeweiligen Männer und eine Frage der Macht. Wo diese Macht ausgeübt wird, ob in den Medien oder in einem Unternehmen oder in der Politik, ist zweitrangig.“
Die Causa Reichelt könne jedoch vielleicht „reinigende Kraft“ haben: „Das ist ja ein spektakulär tiefer Fall. Vielleicht fürchten sich jetzt manche oder es kommen manche in diesen Positionen ins Überlegen.“
Auch Sandra Konstatzky, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft, sieht die Medien nicht in einer Sonderrolle. Anfragen für Beratungsgespräche nach sexueller Belästigung „gehen durch alle Branchen hinweg, große und kleine Unternehmen“.
Seit #MeToo sei jedoch zu beobachten, dass sich Betroffene aus Kultur und Medien mehr gegen sexuelle Belästigung wehren: „Früher hatten wir in dem Bereich oft Beratungen, aber viele wollten keine rechtlichen Schritte einleiten, weil die Branchen in Österreich so klein sind und sie Sorge hatten, dass sie dann vielleicht keinen Job mehr bekommen.“ Das habe sich verbessert.
Kein Kochrezept
Es geht nicht nur um körperliche Übergriffe, „auch Avancen, die mich massiv bedrängen, oder sexistische Witze können sexuelle Belästigung sein“, erklärt Konstatzky. Bei sexueller Belästigung besteht Schadenersatzanspruch, der von der Betroffenen selbst geltend gemacht werden muss. Der Arbeitgeber hat eine Fürsorgepflicht: „Er muss mich davor schützen, dass mir das nicht mehr passiert und den mutmaßlichen Belästiger zur Räson bringen. Das kann sein durch Verwarnen, durch Versetzen oder auch durch Kündigen.“
Ein „Kochrezept“ gebe es hier nicht. Jedes Unternehmen tue jedoch gut daran, Compliance-Regeln aufzustellen und festzulegen, welche Schritte im Falle eines Falles zu setzen sind. "Wenn man sich erst darum kümmert, wenn’s passiert ist, sind alle emotionalisiert und ausgewogenes Handeln ist schwierig."
Und wie sieht es rechtlich in Österreich aus, wenn beispielsweise ein Chefredakteur ein Verhältnis mit einer Angestellten anfangen würde? „Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz sind im Regelfall kein Entlassungsgrund, auch nicht zwischen Führungskraft und Untergebener“, sagt Melanie Kocsan-Göschl von der Frauen- und Familienabteilung der Arbeiterkammer. Konsequenzen könne es jedoch in gravierenden Fällen geben, wenn es etwa zu ungerechtfertigten Beförderungen kommt oder jemand seine Autorität missbraucht.
Von einer Liebesbeziehung klar zu unterscheiden sei die sexuelle Belästigung: „Wenn der Chef mich fragt, ob ich eine sexuelle Beziehung mit ihm anfangen möchte, dabei betont, dass er mir in meiner Karriere weiterhelfen kann, und wenn ich Nein sage, dann war’s das mit meinem Job, dann ist es mit der Freiwilligkeit nicht weit her.“
Spitze des Eisbergs
Unmittelbare Belästigung sei die „Spitze eines Eisbergs“, so Daniela Kraus vom Presseclub Concordia: „Was mir oft auffällt, sind Verniedlichungen von Frauen. Ein Problem ist auch, dass Frauen in den Redaktionskonferenzen oft weniger Platz bekommen und es für sie viel schwieriger ist, sich durchzusetzen. Natürlich ist das nicht auf eine Stufe zu stellen mit einer sexualisierten Belästigung, aber es zeigt, dass nichts getan wird, um diesem Machtgefälle entgegenzuwirken.“
Kommunikationswissenschaftlerin und Journalistin Nadja Sarwat, die das Buch „Medien Frauen Macht“ geschrieben hat, spricht von einer „Redaktionsunkultur“: „Untersuchungen haben für die Medienwelt ein männlich konnotiertes Arbeitsumfeld diagnostiziert, in dem Leistungen von Frauen systematisch behindert und herabgesetzt werden.“ Schlechte Umgangsformen, Männerbündnisse, Seilschaften, Mobbing, Intrigen und auch sexuelle Belästigung werden „zum strategischen Machterhalt eingesetzt“.
Die Konzepte, wie man entgegenwirken könnte, „liegen auf dem Tisch – etwa durch Quoten, auch auf Führungsebene. Aber da gibt es eklatanten Widerstand“, so Sarwat. Macht werde „nicht gerne freiwillig geteilt. Da muss man Verpflichtungen schaffen und auch mehr Transparenz der Medien im Umgang mit eigenen Verfehlungen, damit Biotope des Machtmissbrauchs nicht mehr so leicht gedeihen können.“
Wer von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen ist, kann sich hier kostenlos beraten lassen: Gleichbehandlungsanwaltschaft (0800 206 119), Act4Respect (0670 600 70 80), Arbeiterkammer
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