Matthias Settele zu ORF und Gebühren: "Letztlich zum Schaden der Zuschauer"
Während man in Österreich überlegt, den ORF künftig über eine Abgabe der heimischen Haushalte zu finanzieren, ist man in der Slowakei einen anderen Weg gegangen. Kurz vor Weihnachten haben drei konservativ-populistische Parteien der Minderheitsregierung und die oppositionellen Liberalen die Rundfunkgebühren für das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen RTVS abgeschafft. Ein Feiertag fürs slowakische Privatfernsehen?
„Ganz im Gegenteil, alles, was Unruhe in den Markt bringt, ist schlecht fürs Geschäft“, sagt Matthias Settele, österreichischer Geschäftsführer des größten slowakischen TV-Konzerns Markíza. „Uns wäre lieber, die wirtschaftliche Situation von RTVS wäre klar geregelt und die können dort in Ruhe ihre Arbeit machen und wir machen unsere.“
Die Politik in Bratislava hat es – ähnlich wie in Paris – aber verabsäumt, die weitere Finanzierung zu fixieren und im Herbst stehen Wahlen an. „Wir wollen nichts von dieser Regierung, außer klare Rahmenbedingungen, damit der Markt stabil bleibt“, sagt Settele. Denn die Werbekonjunktur ist trotz des Kriegs in der Ukraine robust und RTVS ist aufgrund strenger Beschränkungen bislang kein Konkurrent beim Werbe-Geld.
Skepsis über ORF-Debatten
In Baden bei Wien lebend, verfolgt Settele, der bei über 20 TV-Sendern in Europa Trouble-Shooter war, die Debatten um den ORF mit einiger Skepsis: „Man muss klar sagen, man kann den ORF nicht auf Dauer erfolgreich führen, wenn er gesetzlich wie wirtschaftlich keine Möglichkeiten zur Entwicklung hat, was letztlich zum Schaden der Zuschauer ist. Da sind bereits fünf oder mehr Streaming-Anbieter am österreichischen Markt, nur der ORF darf nichts tun? Also, der Dissens in der heimischen Medienlandschaft gehört schleunigst von der Politik ausgeräumt. Der ORF - und damit Österreich - verliert zu viel Zeit. Jedes Nachbarland ist da schon weiter.“
Zur Person
Matthias Settele (nicht verwandt mit Hanno Settele) begann als Journalist, war Büroleiter Gerhard Zeilers im ORF, später bei RTL u. a. Produktionschef. Ab 2007 selbstständig, u. a. Troubleshooter bei über 20 Sendern. Ab 2013 Markíza-CEO
Zur Senderfamilie
Markíza besteht aus dzt. vier Sendern und der Streaming-Plattform Voyo; gehört seit 2020 zur PPF Group
Zum Mutterkonzern
Renata Kellnerovás Mischkonzern PPF hat jüngst 9,1 % von ProSiebenSat.1 übernommen. 2020 kaufte PPF die damalige Markíza-Mutter CME für 1,9 Mrd. Man besitzt heute 43 TV-Kanäle
Schwieriges Mediengeschäft
Das Mediengeschäft sei auch so schon schwierig - und gleichzeitig voller Chancen, meint der 56-Jährige. Die Markíza-Gruppe, die er ab 2013 als CEO aus der Verlustzone geführt hat, startet bald einen fünften linearen Sender, weil man Platz für Werbung braucht und „wir das Publikum breit bedienen wollen.“
Der Hauptsender Markíza hat einen Programm-Mix, der zwischen RTL und ARD pendelt. Es gibt genauso Shows wie „Let's Dance“, die Realitys „The Bachelor“ und „The Farm“ oder Serien wie „Der Lehrer“. Wichtig sind auch Daily Soaps wie der jüngste Vorabend-Hit „Mom for Rent“, das aus einer türkischen Serie hervorgegangen ist. Man produziert eigene Fiction wie „Klamstvo“, das auf der englischen Serie „Liar“ basierte und gemeinsam mit dem tschechischen Schwestersender Nova – wenn auch unterschiedlich umgesetzt - Hochglanz-Serien wie die historische Kaufhaus-Saga „Dunaj“.
Damoklesschwert Strafsteuer
„Einen hohen Stellenwert“ habe zudem die Information auf dem stets als regierungskritisch geltenden Markíza TV. „Wir sind mit Abstand der führende Info-Anbieter, und das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit“, erläutert Settele. Allein die Hauptnachrichten mit Sport und Wetter dauern eineinhalb Stunden. Ein großer Hit ist auch ein einstündiger Polittalk Sonntagmittag mit etwa 500.000 Zusehern.
Immer wieder gerät man deshalb ins Visier der Politik. Die dachte sogar an eine „Strafsteuer“ für den wirtschaftlich erfolgreichen Konzern. „Das hängt wie ein Damoklesschwert über uns und ist ja nur ein kleiner Ausdruck dessen, dass man Medien für den Machterhalt an die Kandare nehmen will.“
Offensichtlich ist wie überall in Europa, dass der lineare TV-Konsum stagniert. „Der Anspruch unseres Mutterkonzerns PPF ist deshalb ganz klar die totale Digitalisierung und, natürlich, die Steigerung der Gewinne.“ Bei einem Marktanteil von knapp unter und einer Rendite von jenseits der 30 Prozent sowie zu Zeiten von Inflation und politischer Instabilität ist das durchaus anspruchsvoll. Die PPF Group von Milliardärswitwe Renáta Kellnerová hat übrigens soeben 9,1 Prozent an ProSiebenSat.1, wozu auch Puls4 und ATV gehören, erworben.
"Streaming ist die Zukunft"
Also wird kräftig in die Streaming-Plattform Voyo investiert, die ebenso mit dem tschechischen NovaTV hochgezogen wird. Voyo, das nach Abonnenten-Modell funktioniert, liegt auf dem slowakischen Markt nach Netflix auf Platz 2 gemeinsam mit HBO. Die slowakische Fußball-Liga, die für sechs Saisonen gekauft wurde, spielt vier von sechs Matches exklusiv auf der Streaming-Plattform. Für die spielfreie Winter- und Sommerzeit hat man sich Netflix zum Vorbild genommen und eine junge Filmemacherin mit der Doku-Reihe „Inside … Spartak Trnava“, anlässlich des 100. Geburtstags des Klubs, beauftragt.
Es gibt auf Voyo ein breites Angebot von tschechoslowakischen Kinofilmen über Kinder-Programm bis zu Eigenproduktionen wie etwa Standup-Comedy-Specials und dem Archiv unlimited. „Ein Teil des Erfolgs ist sicherlich, dass dort Fernsehprogramm mitunter schon sieben Tage vor Ausstrahlung und ohne Werbung zu sehen. Bei unseren Erfolgsproduktionen warten tatsächlich die Leute darauf und bei produktionsbedingten Verzögerungen beschweren sie sich mit Nachdruck“, sagt Settele, für den völlig klar ist: „Streaming ist die Zukunft und für diese Zukunft braucht es eigene Inhalte.“
Für deren Produktion hat man in Brünn, sozusagen in der Mitte der Strecke Bratislava und Prag, im Vorjahr die CME-Content-Academy gegründet, die von den Autoren bis hin zu Produzenten Talente ausbilden soll. Nach zwei Jahren wird man für weitere zwei Jahre von einem Sender übernommen. „Damit bekommen junge Leute tatsächlich die Chance, Fuß zu fassen, mit einem fixen ersten Job beim Sender. Wir freuen uns schon auf die ersten Akademie-Absolventen.“
Kommentare