Ex-ORF-Chef Wrabetz: "Verleger an ORF.at beteiligen"
Seine erneute Wiederwahl an die Spitze des ORF hat Alexander Wrabetz im Vorjahr verpasst. Gedanken über den medien- und kulturpolitischen Bereich macht sich der 62-Jährige, der seither selbstständig und international tätig ist, trotzdem. Ein Gespräch über Rundfunk, Bildung und Kultur in Österreich.
KURIER: Herr Wrabetz, es wird ständig kolportiert, sie würden direkt oder indirekt über Unternehmensberatungsfirmen weiterhin den ORF beraten und auf diesem Weg immer noch mitkassieren. Stimmt das?
Alexander Wrabetz: Das ist nicht korrekt. Ich bin selbstständig, ich berate international bei Firmentransaktionen und Zusammenschlüssen. Ich habe weder direkt noch indirekt ein Beratungsmandat mit dem ORF. Der Vorsitz im ORFIII-Kulturbeirat ist ehrenamtlich und steht im Zusammenhang mit meinen kulturellen Tätigkeiten als Präsident der Wiener Symphoniker. Wenn ich zu Medienthemen gefragt werde, bekommt man eine Antwort von mir. Das ist gratis, aber nicht umsonst.
Der ORF steckt wirtschaftlich in einer schwierigen Situation, so wie im Grunde viele Unternehmen. Was wäre zu tun, gibt es Empfehlungen?
Dass ich mich weiterhin mit dem ORF verbunden fühlen, ist nach gut 25 Jahren im Unternehmen selbstverständlich. Dass ich über die Zeitung Tipps gebe an die Nachfolge-Geschäftsführung, halte ich aber für entbehrlich.
Verlorene Zeit
Auch bei der Digitalnovelle, die der ORF für seine Weiterentwicklung braucht, spießt es sich. ORF, die Privatsender und die Zeitungen kommen mit der Medienpolitik auf keinen grünen Zweig. Das kennen sie auch schon aus ihrer Zeit als ORF-Generaldirektor.
Ich finde es schade, dass seit einem Jahr nichts vorangegangen ist. Im Gegenteil, es haben sich die Standpunkte der Marktteilnehmer eher voneinander entfernt haben. Gleichzeitig ist die Lage für die Medien dramatisch: Inflation und Teuerung betreffen gleichermaßen alle. Dass der ORF bei seinen Zukunftsprojekten weiterhin keine klaren Rahmenbedingungen, verschärft die Situation. Dabei halte ich es für möglich zu Lösungen kommen, die breit mitgetragen werden.
Was sind ihre Ansätze, jetzt, wo sie nicht mehr auf eine ORF-Funktion Rücksicht nehmen müssen?
Neben der ORF-Novelle wird auch über eine Reform der Medienförderung debattiert, bei der aber offenbar auch noch Unklarheit besteht. Meines Erachtens muss beides gemeinsam gedacht werden, will man den Medienstandort weiterbringen. Faktum ist, Österreich ist das allerletzte Land in Europa, wo der öffentlich-rechtliche Rundfunk bei den Möglichkeiten im digitalen Bereich derart beschnitten ist. Das macht keinen Sinn. Auf der anderen Seite haben wir noch eine vielfältige Zeitungslandschaft in Relation zur Kleinheit des Landes. Die Herausforderung ist, Werbegeld, das durch die digitalen Entwicklung zu großen Plattformen abfließt, wieder in den Kreislauf der heimischen Medien zurückführen. Deshalb gehört für mich neben dem Medienministerium auch der Finanzminister an den Verhandlungstisch.
Wie soll das geschehen?
Die Digitalsteuer, die richtiger Weise eingeführt wurde und die die am stärksten wachsende Steuer ist, beläuft sich heuer bereits auf 80 bis 100 Millionen. Dieses Geld sollte komplett für Medien und Kulturproduktionszwecke zweckgewidmet werden. Das ist über Umwege zum Teil bereits der Fall, aber noch nicht in einem ausreichenden Ausmaß. Dass ein größerer Spielraum für den ORF im Online- und Social-Media-Bereich dazu führt, dass die Zeitungen, wie sie befürchten, noch stärker unter Druck geraten, halte ich nicht für zutreffend. Sehr wohl richtig ist, dass es für die Printmedien mehr Mittel braucht für die Transformation im Zuge der Digitalisierung der Medien.
Schuss ins Knie - oder nicht
Was soll der ORF digital dürfen?
Wesentlich ist, dass die Video- und Audioproduktion unabhängig vom Zeitkorsett eines linearen Programms umgesetzt werden darf, also egal, wann, wo und wie. Das ist entscheidend. Alles andere sind Details. Es geht ja darum, ein stabiles österreichisches Mediensystem zu erhalten – der Printsektor, verlegerbasiert und der öffentlich-rechtliche Rundfunk. In Frankreich reichen die Eigentümer der Medien, Sender wie Zeitungen, mittlerweile vom Bau-Tycoon bis hin zum Milliardär. Denen zuliebe hat Emanuel Macron sogar die Gebühren abgeschafft, ohne dass es ein anderes Finanzierungsmodell gäbe. Auch so gesehen, ist dieses System, das wir in Österreich haben, mit einem starken Öffentlich-Rechten und einem starken vielfältigen Verlagssystem etwas Positives.
Eine ihrer letzten Taten als ORF-Chef war die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof betreffend Streaminglücke bei den GIS-Gebühren. Dem wurde stattgegeben und jetzt weiß keiner, wie damit umzugehen ist. War das nicht ein Schuss ins Knie des ORF. Und: Wie würden sie auf diese VfGH-Entscheidung reagieren?
Nein, natürlich war das kein Schuss ins Knie. Jetzt geht darum, die richtigen Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und sich dabei nicht zu übernehmen.
Was meinen sie damit?
Wenn ich höre, man brauche eine große Haushaltsabgabe, eine gänzlich neue Finanzierung und überhaupt alles muss neu sein, dann wird mir etwas bang. Es geht doch darum, dass ein bestimmter Teil von Empfangsgeräten, über die das Streaming von ORF-Inhalten erfolgt, miteinzubeziehen ist. Ich glaube, niemand denkt daran, dass wenn jemand mit dem Handy herumspaziert, das Anlass für eine GIS-Kontrolle sein soll. Es geht um Geräte, die im Haushalt sind, eine bestimmte Bildschirm-Größe und einen Breitbandanschluss haben. Ein solche Smart-TV-Abgabe bringt jetzt keine Millionen, aber es wird das Abschmelzen der GIS-Haushalte wieder stabilisieren und es verhindert Rechtsunsicherheiten.
Man hat den Eindruck, in ORF-Kreisen wird die Haushaltsabgabe als Lösung aller Probleme gesehen.
Da sehe ich nur eine geringe Umsetzungschance bis Ende 2023, in der zudem die Gefahr liegt, dass bei den diskutierten Modellen der ORF letztlich weniger Einnahmen lukrieren kann als bisher. Außerdem hätte eine Haushaltsabgabe ein EU-Beihilfeverfahren zur Folge, was bekanntlich auch dauert. Dass man damit in Zeiten von Inflation und Teuerung heftige Diskussionen auslösen würde, kommt noch dazu. Deshalb ist eine möglichst einfache, rechtlich sichere Lösung, die schnell geht, am besten.
Weiterentwicklung
Die Auseinandersetzungen zwischen ORF und Verlegern kreisen um die sogenannte blaue Seite, orf.at. Der Vorwurf lautet, der ORF hält sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben und deshalb soll das Internetportal abgeschaltet werden.
Mir fehlt die Vorstellungskraft, wie man in einem westlichen Land demokratischen Zuschnitts eine Online-Plattform, die täglich 40 Prozent der Bevölkerung erreicht, abdreht. Man stelle sich vor, Victor Orban würde so etwas fordern, das gäbe einen Aufschrei. Ich nehme auch nicht an, dass Österreich auf eine Sanktionenliste kommen will. Über Änderungen, Weiterentwicklungen etc. bei orf.at, darüber kann und soll man reden, aber nicht über die Abschaffung.
orf.at sollte lediglich Überblicksberichterstattung bringen. Stattdessen werden dort u. a. elendslange Feuilleton-Geschichten gespielt und auch noch von ORF-Kollegen via Social Media beworben. Das ist sicher nicht im Sinne des Erfinders.
Es geht bei der Diskussion um orf.at darum, dass die Verleger darum kämpfen, Digitalabos zu verkaufen. Würde orf.at abgeschaltet werden, würden Werbekunden trotzdem nicht zu anderen Verlagen gehen, sondern noch mehr in die automatisierte Werbung investieren. Das löst also das Verleger-Problem nicht. Was stimmt ist, dass orf.at-Geschichten oft lang sind, dass man diskutieren kann, ob das Überblicksberichterstattung ist, wie sie 2011 im ORF-Gesetz von der EU-Kommission zugestanden wurde. Da sehe ich aber auch eine Chance, die gesetzlich ermöglicht werden sollte: orf.at verlinkt in seiner Überblicksberichterstattung für die vertiefenden Geschichten auf heimische Medienportale. Das eröffnet Verlegern Möglichkeiten. Diesen Vorschlag habe ich schon mehrfach gemacht, vielleicht hört man ihn jetzt. Also, es gibt schon Ansätze für Lösungen, die beiden Seiten weiterhelfen, mit dem Tenor: Öffnen statt schließen von orf.at. Da kann man Modelle durchdenken, die sogar bis dahin reichen, die Verleger mit ins Boot zu holen, eventuell sogar mit einer Verleger-Beteiligung an orf.at. Denken muss man das aber natürlich auch von der Nutzer-Seite, wie man das am besten integriert. Vor allem geht es jetzt einmal darum, wieder Bewegung in die erstarrt wirkenden Fronten zu bringen.
Verunsicherung
Gehörige Probleme gibt es auch im Kulturbereich – sie als Klassikfans und Kulturmensch, der sich in diversen Institutionen bewegt, bekommen das ja mit. Wie ordnen sie die Lage ein?
Für den Kulturbereich sind es extrem fordernde Zeiten. Einerseits leiden die Institutionen auch unter der Teuerung, andererseits ist auch das breite Publikum davon betroffen. Das heißt, man wird vielleicht noch Premieren besuchen, mit Repertoire-Vorstellungen wird es aber schon schwieriger, die insgesamt 30.000 Tickets in Wien täglich zu verkaufen. Dazu kommen die Pandemie-Folgen, das Publikum ist zum Teil verunsichert. Darunter leiden jetzt alle unterschiedlich. Es sind etwa jene Institutionen voll, die auch dem Publikum eine Freude machen. Man hat das beispielsweise in Salzburg gesehen oder auch in Bregenz.
Die großen Festspiele haben es da vergleichsweise noch leicht. Aber was muss hier in der Breite getan werden?
Es geht auch hier ums Geld. In dieser mehrfach schwierigen Situation darf man die Kultur nicht hängen lassen, sonst wird man die Qualität nicht halten können und was verloren geht, ist weg. Das heißt, es sind Kulturförderungen zu erhöhen und anzupassen an die äußeren Umstände. Da braucht es gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern, das international gesehen hohe Niveau zu halten und, wo möglich, sogar ausbauen - Kulturpolitik nennt man das.
Wenn die Auslastungen sinken, muss das tatsächlich der Staat auffangen? Das holt das Publikum ja nicht zurück. Und auch der Staat hat Limits, muss sich vielleicht sogar mit anderen, gewichtigeren Dingen auseinanderzusetzen.
Wien ist die Welthauptstadt der Kultur und das soll sie auch bleiben. Wir sind ein Kulturland und haben eine kulturbegeisterte Bevölkerung. Nicht zuletzt ist die Kultur auch ein wirtschaftlicher Faktor, weil sie als Magnet für Touristen wirkt. Wenn in dieser Situation die Politik extra betont, dass man nicht Festspiele besucht, dann ist das aus meiner Sicht ein falsches Signal. Ich finde jedenfalls, es ist keine Schande und man kann ruhig dazu stehen, dass man in ein Theater, in die Oper oder in ein Konzert geht.
Es ist das doch auch die Frage, ob es noch in den Generationen nach uns dieses von ihnen postulierte breite Interesse gibt?
Dafür muss man aber auch was tun und das liegt sehr wohl auch in der Hand von Regierungen. Man muss nur schauen, welchen Stellenwert haben heute Literatur und klassische Musik im Schulunterricht haben. Wichtiger scheint im Lehrplan derzeit zu sein, wie man ein Bewerbungsschreiben macht. Also das müsste man entsprechend wieder einführen. Denn wie soll man etwas vermissen, was man als junger Mensch nie wirklich kennengelernt hat?
Das klingt alles schon sehr diplomatisch von ihnen. Deshalb die Frage: Wie sieht es aus mit einem Wechsel in die Politik? Wäre das nicht naheliegend?
Wenn man mich fragt, kann ich mich gerne im medien- und kulturpolitischen Bereich einbringen, aber ich strebe keine politische Funktion an.
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