Burgtheater-Direktor Kušej räumte sein Büro: Ein Ende wie eine Niederlage
Sein Vertrag als Burgtheaterdirektor läuft noch einen Monat. Aber längst hat sich Martin Kušej verabschiedet. Nein, nicht verabschiedet: Er ist entschwunden. Still und leise, unbemerkbar fast nach einer letzten Aktion im April: Kušej überließ Flatz für einen Abend die Burg, um es der „braunen Brut“ zu zeigen. Doch die Pseudo-NS-Beflaggung war eher erbärmlich, die „Perlenrede“-Show auch.
Zwei, drei Interviews gab er noch, in denen sagte er mehr oder weniger das Gleiche. Er hätte von Andrea Mayer, der Staatssekretärin, bis heute keine plausible Erklärung für seine Nichtverlängerung bekommen. Und er stilisierte sich wieder als Opfer. Weil eben Kärntner Slowene.
Und weil es eine Lesung der sogenannten Chat-Protokolle gab, „die den Kanzler Kurz gestürzt haben“, so Kušej: „Da hat die ÖVP aufgejault – und schließlich dafür gesorgt, dass ich aussortiert wurde.“ Der Hamburger Zeit kann man so was auftischen, die hält auch nicht dagegen. Der Wochenzeitung hatte Kušej schon vor fünf Jahren, zu Beginn seiner Direktionszeit, Absurdes reingedrückt. Damals sagte er in Zusammenhang mit dem Rechtsruck: „Man muss konstant dagegenhalten – bis sie einem die Fresse einschlagen.“ Nun aber musste er auf die Frage, ob er tatsächlich Prügel bekommen hätte, einbekennen: „Nein, konkrete Gewalt fand nicht statt. Die Wiener maulen nur, ziehen dann aber den Schwanz ein. Die Rechnung wird später – wenn sie sich stark fühlen – präsentiert.“
Wien sei eine Schlangengrube, er der Stadt nicht umsonst 26 Jahre aus dem Weg gegangen: Wer ausbricht, werde verachtet, „wer zurückkommt, wird noch mehr verachtet“. Fazit in der Bühne, dem Magazin des Bühnenvereins, zu dem auch die Burg gehört: „Ich habe mich hier nicht willkommen gefühlt.“
Und dann wetterte er wieder gegen den hiesigen Journalismus, denn er hätte „so viel schlecht recherchiertes Zeugs“ lesen müssen – „von Wichtigtuern, die nichts als Speichellecker sind und mit ihren Medien unaufhaltsam in die komplette Bedeutungslosigkeit steuern“. Könnte fast aus „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ von Thomas Bernhard sein.
Und ja: Die Hölle, das sind die anderen. Nur sie haben Schuld. Daher wiederholte Kušej auch in der Bühne, dass er wohl, wenn er noch einmal begänne, „nicht sehr viel anders machen“ würde. Er sei, sagte er Ende Mai der APA, „total stolz darauf, was wir gemeinsam geschafft haben“.
Claus Peymann und Hermann Beil hatten zum Abschied einen Wascher hingeknallt: „Weltkomödie Österreich“ nannte sich die zweibändige Chronik über 13 Jahre Burgtheater (1986 bis 1999) mit 1.352 Seiten.
Die Retrospektive über die fünf Jahre Kušej hingegen ist eher dürftig: Ihr wurden bloß drei Hefte des Burgtheater Magazins gewidmet. Man möge sich, heißt es im Vorwort, ein Bild machen: „von großer ästhetischer Vielfalt, einem immensen Formenreichtum, von formaler Strenge und überbordender Verspieltheit“, „von einem großartigen und vielfältiger werdenden Ensemble“ und so weiter. Der Anteil der Regisseurinnen sei bei 42 Prozent gelegen – und damit „ziemlich nah dran an einem ausgeglichenen Verhältnis“. (Aber nicht in der Burg, da kochte in erster Linie der Chef, sondern in den anderen Spielstätten).
Und dann werden die 117 Produktionen mit je einem großen Foto vorgestellt, beginnend mit „Die Bakchen“ (Premiere am 12. September 2019). Jedem Lockdown ist eine weiße Doppelseite gewidmet. So klafft eine Lücke zwischen dem 23. Februar 2020 („Das Interview“) und dem 11. September („Das Leben ein Traum“). Und einer weitere zwischen dem 30. Oktober 2020 („Automatenbüfett“) und dem 19. Mai 2021 („Fräulein Julie“).
In jenem halben Jahr gab es bloß eine einzige digitale – und durchaus spannende – Produktion: „Die Maschine in mir (Version 1.0)“ mit Michael Maertens. Der Rückblick offenbart also einen Grund für die Nichtverlängerung: Kušej war mit der Pandemie völlig überfordert; Bogdan Roščić hingegen, sein Kollege von der Staatsoper, zeigte bravourös Flagge.
Einen anderen Grund kaschieren die drei Hefte elegant: Kušejs Umgang mit Florian Teichtmeister. Wiewohl der Schauspieler erst am 13. Jänner 2023 gefeuert wurde, gibt es kein einziges Foto mit ihm. Selbst „Nebenan“ – Teichtmeisters letzte Hauptrolle, noch dazu in einer Kušej-Inszenierung – wird nur mit Gegenspieler Norman Hacker bebildert. So manipuliert man Geschichte.
Die Fotos sind zudem exzellent. Sie verschleiern, dass manche Produktionen misslungen sind – darunter „Dies irae“ von Volkstheaterdirektor Kay Voges, „Ingolstadt“ nach Marieluise Fleißer oder Kušejs „Hermannsschlacht“. Umgekehrt aber erwecken sie Erinnerungen an großartige Abende – von Peter Handkes „Zwiegespräch“ über Simon Stones „Komplizen“ bis zu von Thomas Manns „Der Zauberberg“ und „Die Zauberflöte“ von Nils Strunk. Ja, es war vieles gut. Martin Kušej kann beruhigt auf Hawaii Urlaub machen.
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