Martin Kušej: "Theater ist keine Bürgerbewegung"
Am Rande des Interviews äußert Martin Kušej Kritik an Bildungspolitik: Bildnerische Erziehung, Musik und Literatur würden verkümmern. „Niemand kann mehr ein Lied singen! Die Fußnägel rollen sich mir auf, wenn ich höre, wie falsch ,Happy Birthday‘ gesungen wird!“ Als gebürtiger Kärntner ist der Burgtheaterdirektor natürlich ein geübter Sänger.
Das Interview findet dennoch in gesprochener Form statt, nicht als Operette.
KURIER: Lassen Sie sich von den Schauspielern im Probenprozess etwas sagen?
Martin Kušej: Natürlich! Das Proben ist für mich eine Phase der Zusammenarbeit und des Austausches. Wir befruchten und befeuern uns in der Arbeit an einem Stück. Übrigens eine Zeit, in der ich ganz gerne auch etwas Spaß habe. Ich glaube, dass das die Kreativität am meisten befördert. Und es ist ja Lebenszeit!
Das Klischee sagt, Kunst entsteht immer unter Qualen.
Also geheim zu Hause quäle ich mich schon (lacht). Aber ich versuche, das nicht auf die Probe mitzunehmen.
In „Maria Stuart“ – Ihre Inszenierung wechselt jetzt von Salzburg ans Burgtheater – geht es um zwei Frauen in einer Männerwelt.
Es wäre mir aber zu billig, zu sagen, dass diese Frauen von einer Männerwelt manipuliert werden. Schließlich haben es beide an eine Spitzenposition gebracht. Und es ist ja auch historisch belegt, dass sie das politische Handwerk sehr gut beherrscht haben. Was mich aber am meisten interessiert: Die menschliche Komponente, die Sehnsüchte, die Abgründe, die die Seelen der beiden Frauen aufweisen.
Faszinierend bei Schiller ist immer diese seltsam glühende Sprache.
Ja, unbedingt! Sie ist ja auch ein Grund, warum ich mich für dieses Stück entschieden habe. Und wenn wir nicht darauf Acht geben, diese Sprache üben und beherrschen, sie weiter an unser Publikum geben, fürchte ich, auch sie verloren geht. Es ist auch die Aufgabe des Burgtheaters, zu zeigen: Wir erfüllen das mit neuem Leben. Man könnte sich unsere Textfassung mit geschlossenen Augen anhören und die Handlung würde sich klar in unserer Fantasie entfalten. Genau dieses sprachlich-dramatische Kunstwerk „Maria Stuart“ möchte ich geradezu „ausstellen“, als faszinierenden Block in eine Landschaft stellen.
Das Bühnenbild bilden in Wahrheit 30 nackte Männer.
Annette Murschetz und ich wollten keinen normalen theatralischen Raum schaffen, sondern mehr eine Arena, einen Ausstellungsort. Nacheiner Zeit, in der die Kunst, das Theater schwer in Frage gestellt wurde, wollen wir zeigen: Es pulsiert, es lebt und ist wichtig! Schauspiel ist etwas, das uns direkt betrifft und trifft. Schiller hat geschrieben, dass er den Menschen mit Pathos impfen will. Als angehender Mediziner hatte er seine ästhetische Theorie immer auch von physiologischen und pathologischen Zuständen abgeleitet. Es hat mich begeistert, dass die Injektion, die „Impfung“ als Sujet gerade jetzt im Zusammenhang mit „Maria Stuart“ wieder auftaucht.
Sie waren ja auch Sportler, Handballer, und haben auch Sport studiert. Ist das wichtig in Ihrer Arbeit, das Körperliche?
Ja, definitiv. Ich bin aber mittlerweile von meiner Sportlerkarriere 40 Jahre entfernt, das heißt, ich habe Schwierigkeiten mit meinen Gelenken, meinen Hüften und meinem Bauch (lacht). Aber Sie erwischen mich in einer Phase, in der ich gerade versuche, mich wieder in einen Corpus sano zurückzuverwandeln. Im Lockdown habe ich zu viel gekocht und gegessen und meine Lust auf Sport war leider lahmgelegt (lacht).
Wenn man meine theatralische Laufbahn verfolgt, wird man immer körperbetonte Aufführungen finden, und das ist auch etwas, was ich will und brauche. Dazu gehören auch körperbewusste, trainierte Schauspieler und Schauspielerinnen – wie Bibiana Beglau, die so eine Künstlerin ist.
Glauben Sie, dass Frauen an der Macht anders sind als Männer, besser für die Welt?
Ich glaube, es ist an der Zeit, dass sehr viel mehr Frauen in mächtige Positionen kommen. Ich bin relativ sicher, dass das in der Ausübung von Macht kein großer Unterschied wäre – allerdings haben die Männer einige Tausende Jahre Vorsprung, in denen sie schlimme Fehler gemacht haben. Frauen könnten aus dieser Erfahrung lernen und würden damit wohl auch besser umgehen.
Sind Sie Feminist?
Das ist ja heute schon jeder. Ich kann nur sagen, ich bin erzogen worden von Eltern, bei denen es die klassische Rollenteilung nicht gab. Gleichberechtigung habe ich verinnerlicht. Ich habe daher keine Vorurteile im Kopf, in keine Richtung, ich denke nie über so etwas nach.
Anders gefragt: Sind Sie ein Theaterdirektor, der männliche Klischees erfüllt?
Das würde man mir vermutlich unterstellen. Ich bin eigentlich viel sensibler und verletzbarer, als meine äußere Erscheinung vermuten lässt. Wenn mir jemand sagt, agiere weniger maskulin oder patriarchalisch, dann bin ich keinesfalls beratungsresistent. Ich möchte allein aufgrund meines Wissens, meiner Erfahrung und meines Könnens als Direktor akzeptiert werden.
Geht das als Burgtheaterdirektor?
Ich wurde als Direktor ja in Deutschland sozialisiert – und eine so massive Rolle, wie ich sie als Burgtheaterdirektor spielen muss, kannte ich vorher nicht. Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um diesem Anspruch zu genügen. Zum Direktor der Nation tauge ich trotzdem nicht – ich möchte, dass unser aller Arbeit wertgeschätzt wird, und nicht dieser Titel, den ich trage.
Die wichtigsten Titel hier sind Fußballteamchef und Burgdirektor.
Dieser permanente Fokus hat mich dazu gebracht, dass ich mich eine Zeit lang in mich zurückgezogen habe. Meine Direktion hat sehr erfolgreich angefangen, aber dann kam die Pandemie und ich musste dafür sorgen, dass das Burgtheater da in ruhigem Fahrwasser durchkommt. Deshalb freue ich mich darauf, diese „Maria Stuart“ nach Wien mitzunehmen. Sie wurde in Salzburg viel umjubelt und mit diesem Schwung werden wir jetzt in die neue Saison starten.
Im Unterschied etwa zur Staatsoper haben Sie wenige Online-Produktionen herausgebracht.
Dazu haben sich Menschen geäußert, die davon keine Ahnung haben. Unsere Haltung gegenüber der digitalen Welt ist natürlich nicht unkritisch Unser Kerngeschäft ist das Live-Erlebnis THEATER! Auf einer Bühne leibhaftig spielen, zusammen mit anderen Menschen, für andere Menschen in einem Raum. Deshalb haben uns die Vorstellungs-Verbote ins Herz getroffen. Gleichzeitig haben wir vor allem innovative, neue digitale Formen entwickelt und uns damit präsentiert. Der andere Punkt ist ein ganz banaler: Das Theater war in Kurzarbeit und wir haben uns dennoch immer wieder auf eine angekündigte Öffnung vorbereitet. Für Theaterstreaming ist ein ungleich höherer Aufwand nötig als für Opernproduktionen, aus dem Repertoire. Mit Kurzarbeit ging sich das einfach nicht aus.
Haben Sie die Sorge, dass die Menschen sich abgewöhnen könnten, ins Theater zu gehen?
Die Sorge habe ich massiv, ja. Es ist Gottseidank in Österreich besser, weil es hier ein geradezu genetisch verankertes Theaterbewusstsein gibt. Ich weiß aber aus Ländern wie Ungarn oder Slowenien, dass die Menschen dort, auch wegen der finanziellen Folgen der Pandemie, einfach nicht mehr ins Theater gehen.
Umso mehr müssen wir die Menschen ins Theater locken und dafür begeistern. Ich bin da viel kommunikativer als früher. Theater-Schauen muss man langsam lernen, dann macht es umso mehr Spaß. Natürlich gibt es auch Aufführungen, die nicht so gut funktionieren ˗ aber auch das muss man als Theatergänger ertragen. So, wie man im Fußball auch langweilige 0:0-Spiele ertragen muss, dafür wird man dann immer wieder mit richtig dramatischen Spielen belohnt.
Woher kommt die Theatervernarrtheit der Österreicher? Ist das unsere katholische, barocke Tradition?
Genauso ist es. In München oder Wien ist die Gesellschaft immer noch geprägt von unserer prallen katholischen Geschichte. Deren Geschichten und Bilder, die Rituale, diese sinnlichen Erfahrungen haben mich von Kindheit an beeindruckt. Obwohl ich vor Jahren aus der Kirche ausgetreten bin, lässt mich ihr ganzer moralischer Komplex mit den Begriffen Schuld, Sünde, Vergebung, Liebe, Hingabe und Aufopferung nicht los. Das ist das Programm der katholischen Kirche – und das sind die Geschichten des Theaters.
Als Sie Direktor wurden, hieß es, jetzt kommt der streitbare Kušej, jetzt wird es wild. Claus Peymann hat sich ständig in alles Politische eingemischt. Das tun Sie bisher nicht.
Genau. Diese Erwartungshaltung wollte ich nicht erfüllen. Das Peymann-Programm stammt aus einer anderen Zeit. Ich bin gar nicht so “öffentlich“, ich arbeite lieber im Hintergrund. Wenn es Not tut, nehme ich natürlich klar zu wichtigen Themen Stellung. Aber dieses „wild auf mich aufmerksam machen“ und Skandale provozieren, das ist nicht mein Weg. Ich möchte und kann ja nur aus der Kunst heraus arbeiten und argumentieren. Theater ist eben keine Bürgerbewegung und keine Menschenrechtsaktivitätsgruppe. Ich bin ein Mensch der Kunst, ein Priester des Theaters!
Sie sind Kärntner Slowene, hat Sie das geprägt?
Ja, definitiv. Die Frage nach meiner Identität, und dass sie in Frage gestellt wurde und wird, hat mich zu einem sehr politischen Menschen gemacht.
In Ihrem neuen Spielplan findet sich wenig österreichische Klassik, kein Nestroy, kein Grillparzer. Überraschend, denn Sie haben schon großartige Inszenierungen von beiden Autoren gemacht.
Natürlich diskutieren wir auch über solche Stücke für unseren Spielplan. Aber gerade, weil das schon ein von mir erfolgreich erprobtes Gebiet ist, interessiert es mich im Moment nicht so sehr. Ich muss als regieführender Intendant eh die ungeliebten Jobs machen (lacht). Aber das wird schon noch kommen. Natürlich müssen wir bald einen großen Grillparzer zeigen, den „Bruderzwist“ oder „Des Meeres und der Liebe Wellen“.
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