Hitler traf erst am 14. März 1938 in Wien ein. Da war der „Anschluss“ praktisch schon vollzogen, die Nationalsozialisten hatten die Macht übernommen. Vom Balkon des Hotels Imperial hielt der Führer nur eine kurze Rede. Erst tags darauf, am 15. März, verkündete er auf dem Heldenplatz unter dem frenetischen Jubel die „Vollzugsmeldung“ seines Lebens: „den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“. Er sprach vom Söller beziehungsweise Altan der Neuen Burg aus, den man seither „Hitler-Balkon“ nennt.
Der „Vollzug“ sollte aber nicht bloß verkündet, sondern auch legitimiert sein: Für den 10. April 1938 wurde eine angeblich „freie und geheime Volksabstimmung“ angesetzt. So fanden im Vorfeld pompös inszenierte Massenkundgebungen statt. Den Höhepunkt bildete der „Tag des Großdeutschen Reiches“ am 9. April 1938: Hitler fuhr – wie auf Wien Wiki zu lesen ist – „am Vortag des Palmsonntags wie ein Messias im offenen Wagen durch die Mariahilfer Straße zum Rathaus“.
Im Festsaal hielt Hermann Neubacher, seit dem 13. März Bürgermeister, eine an Schwulst kaum überbietbare Rede: „In dieser heiligen Stunde steht für uns die Zeit still. Wir fühlen erschauernd den Atem der großen Geschichte. Eine große Andacht überwältigt uns. Wir beten: Allmächtiger, wir danken Dir, Führer, führe uns. Deutschland, Deutschland, nimm uns an Dein heiliges Herz!“
„Schirmende Hand“
In Wien hätten sich alle Feinde der „nationalsozialistischen Revolution“ verschanzt gehabt. Aber: „Nun, mein Führer, gehört diese Stadt Ihnen! (…) Nehmen Sie diese Stadt unter Ihre schirmende Hand! Lassen Sie sie neu aufblühen vor der Nation und den Völkern der Erde! Seien Sie ihr großer Baumeister!“
Das ließ sich Hitler nicht zweimal sagen: „Seien Sie überzeugt: Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle! Ich werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist und sie der Obhut des ganzen Deutschen Reiches, der ganzen deutschen Nation anvertrauen. Auch diese Stadt wird eine neue Blüte erleben.“
Nach dieser schmucken „Perlenrede“, kurz vor 12 Uhr, begaben sich Adolf Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels auf die Turmloggia. Dort hatte man einen halbrunden Balkon aus Holz errichtet, von dem aus der Führer zu Wagner-Klängen die Ovationen entgegennahm.
Weil er wieder zu Besuch kommen könnte, wurde zum Beispiel im Volkstheater ein edles „Führerzimmer“ eingerichtet. Und der Bürgermeister ordnete an, das Provisorium durch etwas Dauerhaftes zu ersetzen: den wahren „Hitler-Balkon“ aus Stein. Links und rechts in der Turmnische brachte man Bronzetafeln an – mit den Reden.
Nach dem Untergang des Dritten Reichs wurden diese wieder demontiert, den Balkon aber ließ man stehen. Mehr noch: Erst vor ein paar Jahren wurde er restauriert. Von einer Kontextualisierung hielt die sozialdemokratische Stadtregierung bisher nichts. Doch nun schritt der Vorarlberger Künstler Wolfgang Flatz, immer für eine Aufregung gut, zur Tat: Er ließ an der Fassade des Burgtheaters eine Kopie des „Hitler-Balkons“ anbringen – als Spiegelung. Die Burg steht dem Rathaus ja genau gegenüber.
Der Balkon sticht bereits heraus. Aber dabei bleibt es nicht: Auf „spektakuläre, ironische und selbstreflexive Weise“ – so das Burgtheater – werde der Künstler an die Ereignisse vor 86 Jahren erinnern. Zunächst mit einer Installation im öffentlichen Raum, die manchem die Zornesröte ins Gesicht treiben könnte: Flatz schmückt das Burgtheater wie einst – mit roten NS-Fahnen. Ohne Hakenkreuz, aber mit dem Konterfei seines Hundes im weißen Kreis. Die Dogge, 1998 gestorben, hieß – tatsächlich! – Hitler. Wenn Flatz im Englischen Garten von München das Kommando „Hitler, sitz!“ gab, war die Erregung groß. Und Neonazis drohten, den Künstler zu töten – wegen „Blasphemie“.
Im zweiten Pausenfoyer der Burg eröffnet Martin Kušej, der scheidende Direktor, heute Abend die Ausstellung „Hitler, ein Hundeleben“ über das an sich unschuldige Leben der schwarzen Dogge.
„Komm bald wieder“
Zuvor, um 18 Uhr wird die Installation der Öffentlichkeit übergeben – mit dem Hissen der Fahnen. Bläser intonieren dazu „Ich hatte einen Kameraden“ und auch „Junge, komm bald wieder“ von Freddy Quinn. Als Führer tritt Bibiana Beglau auf einem Screen hinter dem Balkon in Erscheinung: Mit aufgemaltem Kajal-Bärtchen äfft sie (wie einst Charlie Chaplin in „Der große Diktator“) im Loop des Führers Gestik nach.
Und um 20 Uhr folgt die Uraufführung von „Perlenrede“. Nein, das sei keine Performance, betont Flatz, sondern ein Stück: „Ich habe es speziell fürs Theater geschrieben, es hat alle Komponenten eines Theaterstücks, formal wie inhaltlich, dazu Musik und visuelle Transportation.“
Am Donnerstag wohnte der KURIER einer Probe bei. Beglau stand mit rosa Pulli auf dem „Balkon“, um sich hitlermäßig zu ereifern, und Komparsen in dreckigen Uniformen unter der Leitung von Rainer Galke (als Wiener Bürgermeister) gaben die Monty-Phyton-Variante einer zackigen NS-Elite-Truppe.
„Zum Opfer gefallen“
Sie symbolisieren die übrigen Bundesländer – und führen an Seilen krabbelnde Männer mit sich. Flatz hätte natürlich lieber echte Hunde gehabt: „Aber das ist – ich sag’ mal: – der Bürokratie des Hauses zum Opfer gefallen.“
Also Komparsen. „Und ich wollte auch Frauen dabei haben.“ Denn bei der Polizei würden bevorzugt Hündinnen scharf gemacht, weil sich diese nicht so leicht ablenken ließen wie Rüden. „Aber es hieß nur: ,Wir wollen nicht, dass Männer Frauen am Halsband führen.‘“ Es gäbe in der Burg eine gewisse Scheu vor Problemen – und so lasse man es lieber gleich bleiben. „Aber ich habe zumindest Hitler mit einer Frau besetzt.“
Die Sache durchzuboxen, sei insgesamt nicht so einfach gewesen, sagt Flatz. Er hätte das „ganze Paket“ bereits für 2023 zu 85 Jahre „Anschluss“ vorgeschlagen gehabt. „Aber Martin Kušej hat mich gebeten, dies erst am Ende seiner Direktion zu machen. Mit einem wunderbaren Satz, der sich bei mir eingebrannt hat: ,Ich gebe dich der braunen Brut in Wien als mein Abschiedsgeschenk.‘ Da wusste ich, dass er weiß, mit wem er es zu tun hat.“ Flatz, 1952 in Dornbirn geboren, fordert heraus (auch seinen Körper), er trägt seine Haut zu Markte – und eckt immer wieder an.
Auch jetzt. Der Hürdenlauf sei enorm gewesen, erst seit drei Wochen gebe es alle Genehmigungen. Widerstände hätte es auch im Haus gegeben, sagt Flatz: „Der Einzige, der Eier gehabt hat, war Martin Kušej!“ Den neuen Termin findet er in Ordnung. „Ob ein Jahr früher oder später, ist egal: Man muss immer wieder daran erinnern.“
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