Eigentlich müsste man sich schon auf die Einflüsterungen, denen Kaspar ausgesetzt wird, konzentrieren können. Doch Peter Handkes Text, 1968 von Claus Peymann zur Uraufführung gebracht, ist nicht gerade leicht zu konsumieren. Daniel Kramer lenkt daher im Akademietheater, wo „Kaspar“ seine nur im Rang bejubelte Premiere feierte, von der ersten Minute an ab – mit überschießenden Ideen und Interpretationen.
Das Missverständnis beginnt damit, dass der US-Regisseur, der in der vergangenen Saison mit demselben Team – Bühne: Annette Murschetz, Kostüme: Shalva Nikvashvili, Musik: Tei Blow – „Engel in Amerika“ inszeniert hat, einen von „Star Wars“ und „Alien“ inspirierten SF-Plot erzählt: Nach der Geburt eines Monsters – Marcel Heuperman rutscht als gruseliges Tentakelwesen durch einen Plastikschlauch als Geburtskanal auf die Bühne – rückt eine Vierergruppe Darth Vaders im aufgemotzten Golf-Mobil zur Zähmung an.
Ihr Werkzeug haben sie aus dem Baumarkt: mit Kettensäge und Laubbläser von Stihl rücken sie dem Ungetüm zu Leibe, bis nur mehr ein nacktes Riesenbaby übrig bleibt. Heuperman durchlebt gleich einmal die anale Phase und kostet mit Begeisterung „Gacki“. Nach einer kurzen Himmelfahrt (warum?) wird er clownesk ausstaffiert – obwohl Peter Handke in seinen äußerst detaillierten Szenenanweisungen „keine Ähnlichkeit mit einem Spaßmacher“ wollte. Kramers Kaspar gerät als Esel in die Mühle der Schule: Heuperman dreht schnaufend eine große Tafel um die eigene Achse. Und die Formung zum angepassten Mitläufer geht weiter.
Charmantes Intermezzo
Nach Pubertät, Ertüchtigung und einer Stunde Spielzeit gibt es wieder eine Himmelfahrt. Pause zu machen, dürfte man sich nicht getraut haben. Wiewohl der brutale Bruch und der lange Umbau sie nahegelegt hätten. Nun folgt ein äußerst charmantes Intermezzo, dargeboten als Silent Movie und Anspielung auf Handkes wortloses Spiel „Das Mündel will Vormund sein“, das zur gleichen Zeit wie „Kaspar“ entstanden ist: Die vier bösen Einsager bewohnen als ebenfalls gleichgeschaltete Kaspars mit Heuperman die Garçonnière. Es ist eine halbe „Stunde da wir nichts voneinander wussten“ (Handkes zweites wortloses Spiel): Alle fünf gehen, unabhängig voneinander, ihren alltäglichen Ritualen nach und lassen sich von Werbung, Fernsehen, Handy berieseln.
Auch wenn Kramer die Anweisungen grosso modo negiert, gelingt ihm in dieser Szene eine äußerst schlüssige Deutung. Aber die Nagelfeilen in den Paketen der Kaspars wachsen im Akademietheater zu Maschinengewehren an. Heuperman zieht mit der Waffe ab, die anderen vier schlucken apathisch Psychopharmaka. Nach einer Überleitung zu „The Last Day of Our Acquaintance“ der kürzlich verstorbenen Sinéad O’Connor stehen Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Markus Scheumann und Jonas Hackmann als schillernde Figuren im Stil von Niki de Saint Phalle an der Rampe, um sich gegenseitig zu traktieren.
Das Finale gehört Heuperman als blutverschmierte Drag-Queen: „Ich bin in die Wirklichkeit übergeführt.“ Neben ihm blinkt bedrohlich eine fette Atombombe. Weniger wäre mehr gewesen.
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