Rabinowich geht essen: Ein Storch namens Hansi

Sogar mich, die keinen Alkohol trinkt, verführt jeder Aufenthalt in Rust dazu, diesen Wein der Freiheit dennoch zu erwerben.
Julya Rabinowich

Julya Rabinowich

Der Neusiedler See wurde schon einmal hier von mir besungen: Aber alles hat mindestens zwei Seiten. Nach Podersdorf ist nun also Rust an der Reihe. Man kann übrigens eine kleine Seefahrt von Podersdorf auf die gegenüberliegende Seite machen, ein Erlebnis für sich, vor allem das Manövrieren des Schiffes durch den massiven Schilfgürtel und seine labyrinthhaften Wasserwege. Wobei Rust aus unterschiedlichsten Gründen bemerkenswert ist. Sei es wegen der Störche, die hier Jahr um Jahr ihr Sommerresidenz aufschlagen, und manche sogar krankheitshalber für immer. Sei es wegen der schönen Seenähe, des beschriebenen Schilfgürtels, aus dem zwischen Enten und Fischen manchmal nackige Schwimmer auftau- chen. Und die historischen Gebäude, die alten kleinen Gässchen, die weiß getünchten Bögengewölbe! Hier atmet man die Geschichte Rusts: Haben sich die Ruster doch 1649 von der Herrschaftsuntertänigkeit freigekauft, um viel Geld und 500 Eimer besten Weines. Sehr rebellisch und selbstbewusst. Im Ruster Wein war hier nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Freiheit zu finden – etwas, das gewiss nicht in jeder Angelegenheit zutrifft. Die Buschenschanken locken immer noch und die Weinkeller locken auch – sogar mich, die keinen Alkohol trinkt, verführt jeder Aufenthalt in Rust dazu, diesen Wein der Freiheit dennoch zu erwerben. In jedem Hinterhof lauert Schönheit und in vielen Lokalen gebackener Wels oder Zander, an der Hauptstraße knapp vor dem Neusiedler See wartet das Galeriecafe in einem so kleinen wie hinreißenden historischen Gebäude und großen ebenso hinreißenden von der Herrin des Hauses gebackenen Desserts – von Marillenkuchen bis Eierlikörtorte ist hier großer Genuss anzutreffen. Man sitzt auf kleinen Steinbankerln mit Teppichaufla- ge vor dem winzigen Lokal, mit direktem Blick auf die brütenden Störche, deren elegantes Geklapper den baristareifen Kaffee untermalt. Die Störche haben sogar Namen von den Einheimischen bekommen und scheinen einverstanden zu sein: Jener Storch, den sie Hansi nannten, trug es jedenfalls mit Fassung. Traditioneller geht es im Gasthof zum alten Stadttor zu, am namenspendenden Gebäude und gegenüber jener Wiese am Schilfgürtel zu finden, auf der Störche und Schafe des Ortes gemeinsame Jagdgründe aufge- schlagen haben, in einer der Menschheit wünschens- werten Bereitschaft, miteinander auszukommen. Auf der Speisekarte stehen klassische Gerichte, auch hier gibt es hervorragenden Zander mit mediterran geröstetem Gemüse – die eigentlichen Stars der Show waren aber diesmal der Vorgänger, ein unerwartet mit Birnen garnierter Eierschwammerlsalat, der erfrischte und durchaus Appetit auf mehr triggerte – und die Nachfolger: die göttlichsten, flaumigsten, fruchtigsten Marillenknödel mit saftig knackiger Panier samt Streuzuckerhaube, der Teig gerade richtig dehnbar und fest zugleich, so überzeugend, dass man sehr kämpfen musste, statt drei nicht gleich sechs zu bestellen. Die Herrin des Hauses achtete übrigens sehr auf die Sicherheit von Gästen und Angestellten: beim Eintritt wurden ausnahmslos alle mit Desinfektionsmittel bedacht, alle Tische vor der Gästeniederlassung mit Hingabe und Schwung desinfiziert. Niederlassen möchte man sich eigentlich in ganz Rust. Zu jeder Jahreszeit. In jedem Aggregatzustand. Hansi würde mir zustimmen. Und ganz gewiss versichern, dass der Ausdruck „brat mir einen Storch“ gewiss nicht in Rust seinen Ursprung nahm.

Galeriecafé Hauptstraße 18, Rust
facebook/Galeriecafé, Tel. 0664/131 86 83
Zum Alten Stadttor Zum Alten Stadttor 1

zum-alten-stadttor.at, Tel. 02685/60 660

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