Raab geht essen: Zum Sieg

Wer das vielleicht beste Gulasch der Stadt genießen will, musste sich dazu bisher in keinen Gastgärten um Schattenplätze raufen, besprenkeln oder anblasen lassen.
Thomas Raab

Thomas Raab

Endlich September. Es kühlt ab. Die Sommerspritzer werden wieder eingerollt (Sommerspritzer: Ein zwecks Erfrischung aus Düsen spritzender Wiener Wasserschlauch). Auf den Gehsteigen und Radwegen muss kein Mensch mehr den geschrumpften Schneelanzen namens Nebelduschen ausweichen. Und wer einen Mann im engen Anorak, Skischuhen und geschulterten Carvern davorstehen sieht, braucht sich nicht schrecken, es ist vielleicht nur ein WKO-Seilbahn-Sprecher, der verzweifelt die dazugehörige Liftanlage sucht. Wien gießt outdoor keinen Asphalt mehr, um sich cool zu geben. Wien mit echtem Spritzer indoor war es ja ohnedies immer schon.

Wer das vielleicht beste Gulasch der Stadt genießen will, musste sich dazu auch bisher in keinen Gastgärten um Schattenplätze raufen, besprenkeln oder anblasen lassen. Eine naturkühle Gaststube reicht völlig. So stand beispielsweise 1632 das Gebäude des Israel Liebemann im damaligen Wiener Getto, der heute multikulturellen Leopoldstadt. 1683 wurde es niedergebrannt, auf dass die türkischen Belagerer nicht in Deckung gehen konnten. 1685 ging es als Dank für seine Spionagedienste an Franz Georg Kolschitzky (1640 in der Nähe von Lemberg, sprich der heutigen Ukraine, damals zu Polen gehörig, geboren). Kolschitzky (dem viel zu verdanken ist, nur das mit dem Kaffee ist ein Gschichtl) verkauft es weiter … 1779 scheint es erstmal als Gasthaus auf: „Die goldene Artischocke“ (dank eines Gemüsehändlers, der dort im 17. Jahrhundert erstmals für Wien neues Gemüse verkauft).

1809 verpasst Erzherzog Karl bei Aspern Napoleon die erste Niederlage, ergo wird das Beisl in Gasthaus „Zum Sieg“ umbenannt. So heißt es heut noch. Seit 1991 geführt von Christine Treimer und ihrer Familie. Wer eintritt, fühlt sich angekommen in einem der schönsten, stimmungsvollsten Gasthäusern der Hauptstadt und in Wiener Urzeiten zurückversetzt. Ur weil urig. Echt. Alles. Die Holzvertäfelung, die Schank, die Menschen und die Speise: Wiener Saftgulasch in Vollendung und den Variationen: „Großes Gulasch“, „Kleines Gulasch“, „Würstl im Saft“. Viel mehr gibt’s hier nicht (außer Freitag). Ein Gulasch, das sich noch am Topfboden anlegen darf, um diese Aromen-Explosion zu ergeben. Butterweich das Rindfleisch. Dazu perfekt gezapftes Bier, oder ein wahrhaftiger Sommerspritzer.

Haidgasse 8. Ein Kulturgut. „Manchmal ging er abends, wenn er vom Spital kam, um die Ecke ins Gasthaus zum Sieg. Dort bekam er ein anständiges Gulasch, freitags einen sehr guten Fisch. Einmal wurde er Zeuge, wie ein Deutscher, der von einem Wiener in das Gasthaus mitgenommen wurde, mit geradezu panischer Irritation fragte: Zum Sieg? Das ist doch hoffentlich kein Nazilokal! Der Kellner, der gerade vorbeiging und dies hörte, stützte seine Arme auf den Tisch, beugte sich vor und sagte: Oida! ...“ Und was er noch sprach, steht im eben zitierten, ausgezeichneten Roman von Robert Menasse: DIE HAUPTSTADT. Wer in Wien lebt und Wien nicht kennt:

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