Kralicek geht essen: Das Standardgericht

Von mir aus müsste es keine Speisekarten geben. Ich bestelle ohnedies immer dasselbe.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

 Das klingt nach einseitiger Ernährung, aber der Eindruck täuscht. Ich gehe ja nicht jeden Tag essen, und wenn ich auswärts esse, dann nicht immer im selben Wirtshaus. Aber tatsächlich habe ich in jedem von mir halbwegs regelmäßig frequentierten Lokal ein Standardgericht, das ich fast jedes Mal bestelle.

Wenn ich meinen Freund Klaus in dessen Innenstadt- Stammlokal treffe, bestelle ich grundsätzlich Hühnerspieße mit Pommes frites. Im Restaurant bei mir ums Eck ist Blunzengröstl die Standardbestellung. In meinem liebsten Landgasthaus, in der Buckligen Welt, muss es ein Backhendl sein, obwohl dort – wie mir Mitesser glaubhaft versichern – auch alles andere sehr gut ist. In Salzburg-Maxglan besuche ich jeden Sommer einmal ein bestimmtes Wirtshaus und esse dort jedes Mal Wiener Schnitzel (natürlich mit Preiselbeeren, wie das im Westen üblich ist).

Wenn sich zwei gefunden haben

In Graz bestelle ich stets Breinwurst, in Lienz muss es selbstverständlich ein Tiroler Gröstl sein, und in meiner Stammpizzeria habe ich, glaube ich, noch nie eine andere Pizza als Diavola gegessen. (In anderen Pizzerien übrigens schon, so viel Abenteuer muss sein.) Ich bin, das weiß ich, nicht allein mit dieser Angewohnheit. Viele Gasthausgeher haben Standardgerichte, die sie jahraus, jahrein bestellen. Daran ist übrigens nichts auszusetzen. Wenn sich zwei – Gast und Gericht – gefunden haben, was spricht dann dagegen, dass sie für immer zusammenbleiben? Ein bisschen ist es tatsächlich wie in einer Ehe: Warum sollte man gierig auf den Teller am Nebentisch blicken, wenn der Appetit auf das Lieblingsgericht auch nach vielen Jahren ungebrochen ist? So essen wir, bis dass der Tod uns scheidet – oder das Wirtshaus einen neuen Koch hat, der das Lieblingsessen einfach nicht so hinkriegt, wie man es mag.

Die Beziehung zu unseren Stammgerichten ist auch deshalb so langlebig, weil wir nicht dauernd zusammen sind. Wer will schon täglich Schnitzel essen? (Wobei: Schnitzel ist ein schlechtes Beispiel, das könnte man vielleicht ja wirklich jeden Tag essen – ungesund wäre es aber auf jeden Fall.) Es gibt Lieblingsessen, die nehme ich so selten zu mir, dass man nur von einer Fernbeziehung sprechen kann; zum Beispiel schaffe ich es höchstens einmal im Jahr in den Böhmischen Prater, wo ich dann immer Spareribs bestelle. Man kann sich vorstellen, wie groß die Wiedersehensfreude ist, wenn es dann endlich wieder einmal so weit ist! Zugegeben: Die Freude ist in diesem Fall etwas einseitig, aber man muss den Vergleich mit einer zwischenmenschlichen Beziehung ja auch nicht überstrapazieren.

Morgen gehe ich wieder ins Wirtshaus ums Eck. Ich freue mich schon, denn es wird sein wie immer. „Brauchen Sie die Speisekarte?“ – „Nein danke, ich weiß schon.“

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