Kralicek geht essen: Das Szenelokal

Unlängst las ich einen Artikel, in dem ein neu eröffnetes Restaurant als „Szenelokal“ bezeichnet wurde.
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Da fiel mir auf, dass mir das Wort schon jahrelang nicht mehr untergekommen war. Ich fragte mich, woran das liegt, und kam zu dem Schluss, dass es Szenelokale eigentlich gar nicht mehr gibt. Sie sind ausgestorben wie Milchbars oder Bahnhofsrestaurants.

Seine Hochzeit hatte das Szenelokal in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts und ursprünglich war es Avantgarde: Es wurde von aufstrebenden jungen Architektenteams gestaltet und von geschäftstüchtigen Künstlern betrieben; na ja, zumindest bestand das Personal aus extrem coolen Angewandte-Studentinnen und genialen, aber noch unentdeckten Jungregisseuren (die Klientel sowieso). Das Szenelokal sah anders aus als andere Lokale – was damals nicht besonders schwer war, weil es sonst nur klassische Kaffeehäuser, Beisln und Branntweinstuben gab – und es zog andere Leute an, das sogenannte „Szenepublikum“.

Ein Szenelokal zu besuchen, war ein Statement – immerhin bedeutete es ja, dass man zur Szene gehörte. Nicht alle Szenelokale waren architektonisch so auffällig wie die Blue Box, wo es eine Zeit lang tatsächlich eine pneumatische Bustür gab. Einige Eigenschaften aber hatten alle Szenelokale gemeinsam: Eine lange Theke, an der man lässig lehnen konnte, war unabdingbar. Die Beleuchtung war eher Neon als Kerze, die Musik laut und eher New Wave als Rock. Das Essen war eher einfach (Schinkenfleckerl, überbackene Brote und so) und insgesamt nicht so wichtig. Bunte Cocktails mit lustigen Namen wurden übrigens nur in Szenefilmen getrunken; in Wirklichkeit gingen auch im Szenelokal Spritzer und Bier am besten.

Manche Szenelokale aus den 80ern gibt es immer noch, einige haben sich sogar erstaunlich gut gehalten, etwa das Café Europa in der Zollergasse oder das Kleine Café am Franziskanerplatz. Aber niemand würde heute noch Szenelokal zu ihnen sagen. Der ursprünglich positiv besetzte Begriff wurde, wie es halt so ist, gnadenlos kommerzialisiert, bis sich irgendwann jedes Gasthaus, in dem überbackenes Baguette oder Mozzarella mit Tomate auf der Karte stand, Szenelokal nannte.

Entsprechend wertlos wurde der Begriff, bis er ganz verschwunden ist. Das soll natürlich nicht heißen, dass es nicht immer noch Lokale gibt, die so lässig sind wie damals die Szenelokale – nur ist es halt schon lange nicht mehr lässig, sich so zu nennen. Der Unterschied ist, dass die Schinkenfleckerl heute eher Tofunudeln sind und der Cappuccino mit Mandelmilch zubereitet wird. Grundsätzlich aber hat sich nicht viel geändert. Die angehende Bühnenbildnerin und der ambitionierte Jungschriftsteller haben abends ja immer noch jede Menge zu besprechen.

Zufällig bin ich kürzlich an dem neuen Restaurant vorbeigekommen, das in dem oben erwähnten Artikel besprochen wurde. Und siehe da: Es ist dermaßen geschmacklos eingerichtet, dass das mit dem Szenelokal sicher nicht als Kompliment gemeint war. Spätestens jetzt ist klar: Man kann das einst so moderne Wort „Szenelokal“ nur noch unter Anführungszeichen verwenden.

Café Europa

Zollergasse 8, 1070 Wien,
Tel. 01 / 526 33 83,
geöffnet tägl. 9 bis 5 Uhr
Webseite


Kleines Café

Franziskanerplatz 3, 1010 Wien,
geöffnet Mo–Di 10 bis 2 Uhr, So 13 bis 0 Uhr

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