Kralicek geht essen: Der Speisewagen

Seine Domäne ist die Zwischenmahlzeit, für die Zubereitung von einem Paar Frankfurter sind auch die Speisewagenkombüsen ausreichend ausgestattet,
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Das Beste am Bahnfahren ist der Speisewagen. Das soll nicht heißen, dass das, was man dort zu essen und zu trinken bekommt, so außerordentlich gut wäre. Es ist im Normalfall okay und wird vom Gast schon deshalb eher wohlwollend beurteilt, weil dieser realistisch genug ist, sich nicht allzu viel zu erwarten. Nein, die Sensation, die der Speisewagen darstellt, besteht in seiner bloßen Existenz. Es ist einfach ein großartiges Gefühl, eine warme Mahlzeit oder ein Glas Wein serviert zu bekommen, während vor dem Fenster die Landschaft an einem vorbeizieht. Mehr Orient-Express-Feeling werden die meisten von uns in ihrem Leben nicht mehr hinkriegen; die funkelnden Diademe der Damen, die dünnen Oberlippenbärtchen der Herren, das Silberbesteck und die filterlosen Zigaretten müssen wir uns halt dazudenken.

Für das Mittagessen oder gar ein stimmungsvolles Dinner ist der moderne Speisewagen auch mit viel Fantasie nicht der richtige Ort. Seine Domäne ist die Zwischenmahlzeit, für die Zubereitung von einem Paar Frankfurter oder das Aufwärmen einer Gulaschsuppe sind auch die spartanischen Speisewagenkombüsen ausreichend ausgestattet, und die traditionell überhöhten Preise schlagen bei den Snacks noch nicht so stark an. Besonders fürs Frühstücken ist der Speisewagen ein sehr guter Ort. So mühsam es sein kann, in aller Frühe aufzustehen und zum Bahnhof zu hetzen, so angenehm ist es, dann endlich im Zug zu sitzen. Dort begibt man sich am besten gleich einmal in den Speisewagen, bestellt sich Kaffee und Buttersemmel oder, wenn man abenteuerlustig gestimmt ist, Ham and Eggs. In Kombination mit der Bewegung des Zugs ergibt das eine ganz besondere Stimmung.

Der Tag ist jung, rein theoretisch könnten wir jetzt überallhin fahren. Welt, wir kommen! Im knallvollen Railjet zwischen St. Pölten und Wien kommen solche romantischen Reisegefühle allerdings selten auf. Dass Fernzüge zu bestimmten Zeiten und auf bestimmten Routen von Pendlern geflutet werden, ist erst kürzlich – in Zusammenhang mit der Debatte um die von den ÖBB angedachte Reservierungspflicht – als Problem erkannt worden.

Auf engstem Raum treffen hier zwei Gruppen mit diametralen Interessen aufeinander: Die einen wollen ihre Reise möglichst ruhig und entspannt genießen, die anderen wollen möglichst schnell zur Arbeit oder nach Hause. Das führt auch im Speisewagen zu prekären Situationen. Frühstück mit wohligen Fernwehgefühlen? Vergiss es, wenn am Nebentisch eine Pendlergruppe sitzt, die lautstark den aktuellen Betriebsklatsch oder die gestrigen Fußballergebnisse bespricht. Nachmittagsjause mit Panoramablick? Schwierig, wenn nebenan mit dem Feierabendbier der Frust eines langen Arbeitstags runtergespült wird. Aus Sicht der Pendler wiederum ist es nachvollziehbar, dass sie sich so gern in den Speisewagen setzen. Sie brauchen für die kurze Strecke keinen Platz im Abteil, Gepäck haben sie auch nicht, und bei einem Getränk plaudert sich‘s halt einfach netter. Es ist ein Dilemma. Und hier ist die Lösung: Die ÖBB sollten für Pendler eigene Züge einführen, die ausschließlich aus Speisewagen bestehen.

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