Raab geht essen: Raumfahrer

Und dann sah ich sie in einer Auslage. Diese alte Liebe, stets Teil meines Lebens.
Thomas Raab

Thomas Raab

Herbst. Wenn dieses Hirngespinst namens Sommerfigur endlich wie Laub von den Bäumen fällt und die Sicht wieder frei wird auf einen Milchstraßenhimmel voll Kakaobohnen-Sternen. Wenn Willy Wonka die Tore öffnet und uns mit unsichtbaren Fäden in seine Schokoladenfabrik zieht. Wer nicht achtgibt, kommt erst ab 1. 1. wieder auf freien Fuß, kiloweise Neujahrsvorsätze im Übergepäck. Schuld daran sind selbstverständlich die anderen: Prozent-Pickerl, Adventkalender, Nikolo ... In meinem Fall womöglich das Klimaticket. Ich liebe es. Diese Freiheit, hierzulande jederzeit überall hinreisen zu können. Raumfahrer sein. Wie eine Trumpfkarte gegen die Illusion, das Unmögliche wäre unüberwindbar, steckt es in meiner Geldbörse! Geht mir der Glaube woran auch immer aus, einfach Klimaticket zücken und sich klar darüber werden: „Armstrong, eh nett die G’schicht mit’n Mond. DAS hier allerdings ist die Landung auf einem fernen, bewohnten Planeten!“ Ein Wunder. So also stand ich kürzlich nach einer mehrstündigen Reise in einem Supermarkt des Wiener Hauptbahnhofes.

Lange Bahnfahrten umgeben von Menschen machen hungrig. In meinem Fall sehr viele hungrige Menschen. Parfümierte, Desinfizierte, Deodorierte. Haarwachs Kokos, Lipgloss Melone, Achselschweiß Bison. Liptauerbrot, Landjäger, Onion-Chips. Eistee, Energiedrink, Dosenbier ...

Zwei Möglichkeiten gibt es darauf zu reagieren: Entweder du speibst, was dem Gesamtaroma des Waggons nicht unbedingt zuträglich wäre! Oder aber du steckst dir Kopfhörer in die Ohren, Playlist „Diane Krall Essentials“ und wähnst dich auf einer entspannten Abenteuerreise, jeder Duft eine Einladung an die Fantasie. Funktioniert prächtig! Nachteil: Besagter Supermarkt entwickelte sich zu einem kulinarischen Labyrinth. Hungrig und satt zugleich. Gusto und Grausen. Unmöglich für mich auch nur irgendetwas zu ergreifen. Also raus, den Hauptbahnhof entlangschlurfen, schon aufgeben wollen. Ja und dann sah ich sie in einer Auslage. Diese alte Liebe, stets Teil meines Lebens. Wenn Herr Papa Frau Mama ein nobles Geschenk bereiten wollte, gab es diesen in Gold verpackten Kreissektor. Ein vollendeter Schokowaffelspitz aus der ältesten noch erhältlichen österreichischen Süßwarenmarke. 1849 gegründet,1898 Aufstieg zum k. u. k. Hoflieferanten, 2006 übernommen von dem Wiener Familienunternehmen Heindl. „Jö, danke, Pischinger-Ecken!“ so meine Frau: „Lass uns mit den Kindern Willy Wonka besuchen?“, „Wo? Zwischen zwei Buchdeckeln?“, „Die Heindl-Fabrik und das Schokomuseum. Wir können dort –“ – endlich das Hirngespinst namens Sommerfigur wie Laub von den Bäumen fallen lassen. Schokomaroni, Sissi-Taler … Sowieso. Der Herbst ist da.

Willendorfer Gasse 2–8, 1230 
schokomuseum.at 
Tel. +43 (0)1-667 21 10-219
Di. bis Fr. 9–16 Uhr, Sa. 9–17 Uhr

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