Kralicek geht essen: Gute Vorsätze

Ist es angebracht, bei einem kleinen Braunen um 2,20 Euro auf 3 Euro zu gehen, obwohl das viel mehr als zehn Prozent sind?
Wolfgang Kralicek

Wolfgang Kralicek

Seit ich mit dem Rauchen aufgehört habe, fällt es mir zu Neujahr schwer, gute Vorsätze zu fassen. „Weniger essen gehen“ würde sicher nicht schaden, aber 1) hört sich das in Lockdown-Zeiten wie ein zynischer Witz an, und 2) wäre es in Zusammenhang mit dieser Kolumne kontraproduktiv. Sobald die Gaststätten wieder aufsperren, werde ich natürlich wieder essen gehen. Ich habe mir für das neue Jahr aber vorgenommen, dabei manches besser zu machen als bisher.

Erster guter Vorsatz: Ich möchte genug Trinkgeld geben. Ich weiß schon, dass das keine besonders schwierige Übung ist, und meistens gelingt sie mir eh ganz gut. Immer wieder aber bin ich mir dann doch nicht ganz sicher. Zehn Prozent sind die ungeschriebene Regel, so viel ist klar. Aber wenn die Rechnung zum Beispiel 46 Euro ausmacht – ist es dann okay, auf 50 aufzurunden, obwohl das etwas weniger als zehn Prozent sind? Und wie ist es bei kleinen Beträgen, wenn zehn Prozent nur ein paar Cent ausmachen würden – ist es angebracht, bei einem kleinen Braunen um 2,20 Euro auf 3 Euro zu gehen, obwohl das viel mehr als zehn Prozent sind?

Solche Fragen können verunsichern und zu Fehlentscheidungen führen, die einen als Geizhals erscheinen lassen. Ich habe mir deshalb die Goldene Trinkgeldregel ausgedacht. Sie lautet: im Zweifelsfall zu viel als zu wenig. Die Beträge, um die es da geht, sind im Grunde lächerlich, und wer wirklich jeden Euro umdrehen muss, isst ohnedies selten auswärts. Wobei: Ich habe den Verdacht, dass die Höhe des Trinkgelds weniger eine Frage des Jahreseinkommens ist als eine der Lebenseinstellung. Ein Grund mehr, sich im neuen Jahr an die Goldene Regel zu halten.

Zweiter guter Vorsatz: Ich möchte öfter die Wahrheit sagen. Auf die obligate Frage „Hat’s geschmeckt?“ sage ich nicht immer, was ich wirklich meine. Nicht aus Höflichkeit, eher aus Bequemlichkeit. Wenn der Gast Kritik übt, drohen zwei Konsequenzen: Empörung oder Zerknirschung. Entweder, der Wirt fühlt sich persönlich beleidigt und wird aggressiv, oder es ist ihm furchtbar peinlich, und er besteht auf Wiedergutmachung. Beides kann sehr anstrengend sein, weshalb ich es meist vorziehe, auch dann „Danke, gut“ zu sagen, wenn es gar nicht gut war. Ich versuche die Floskel möglichst formelhaft zu intonieren, um auf diese Weise zumindest zwischen den Zeilen anzudeuten, was Sache ist. Umgekehrt neige ich, wenn’s mir wirklich geschmeckt hat, zum Übertreiben: „Ausgezeichnet, wie immer!“ deklamiere ich im Stil eines Schmierenkomödianten.

Das Ergebnis ist, dass weder meine subtile Kritik verstanden wird, noch mein ehrliches Lob glaubwürdig wirkt. Dabei wäre Feedback für die Küche doch eigentlich sinnvoll – es ist ein Dilemma. In Spitzenrestaurants gilt es angeblich als No-go, den Gast zu fragen, wie es gemundet hat; ich halte das aus oben genannten Gründen für eine sehr rücksichtsvolle Usance. Aber soll ich jetzt nur noch in Nobelrestaurants gehen, bloß weil ich zu feig bin, die Wahrheit zu sagen? Bleibt also nur der harte Weg. Was aber antwortet man auf die Frage „Hat’s geschmeckt?“, wenn das Essen nicht gut war? Ich könnte mich in Sarkasmus flüchten („Nächste Frage“), es auf die verständnisvolle Tour versuchen („Wir alle haben mal einen schlechten Tag“), oder halt einfach wirklich sagen, was ich denke. Es könnte allerdings sein, dass ich dabei vor lauter Stress wieder zu rauchen anfange.

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