Rabinowich geht essen: Ein Lied von Eis und Pommes

Sie lotste mich in den Salon, in dem 1967 eine der bedeutendsten Erfindungen der vergangenen über fünf Jahrzehnte getätigt wurde, die die Welt zum Beben brachte: der Eismarillenknödel.
Julya Rabinowich

Julya Rabinowich

Marmor, Stein und Eisen bricht, aber die Erinnerung an die Besuche beim Tichy nicht. Niemals. Entdeckt habe ich eines der intensivsten Eisangebote der Stadt eher zufällig, wie Columbus auf Amerika stieß, auf der Suche nach völlig anderem. Zugegebenerweise war die Begegnung zwischen Amerika und Columbus weitaus folgenschwerer. Die von mir verzweifelt gesuchte Straßenbahn fuhr am Reumannplatz, sollte mich zu meiner ersten Gymnasialfreundin bringen und ließ sich nicht und nicht finden. Ich bestaunte das Angebot von der Ferne, ich hatte nur ein paar Schillinge im Börsl, und der erste Besuch im Eissalon mit der erwähnten Freundin folgte erst später. Wir schrieben das Jahr 1981, alle trugen Neon und widerliche Lackfrisuren, sie lotste mich auf Leopardenstiefelchen in Giftgrün in den Salon, in dem 1967 eine der bedeutendsten Erfindungen der vergangenen über fünf Jahrzehnte getätigt wurde, die die Welt zum Beben brachte: der Eismarillenknödel, bis heute das Totemtier des Betriebes. Und ich zerging zwischen cremigen ebenjenen Marilleneisknödeln mit süßem Bröselzucker, den verführerisch dunklen Himbeerknödeln im Mohnnegligé, mit blutig rotem Herz. Das Innere fruchtig und kompakt, das Drumherum ein sahniger Wahnsinn. Wenn ich mich richtig erinnere, kamen später noch die Schneebälle mit Meringuemäntelchen und die Frucht- und Nussbusserln dazu, die ich zwar begehrte, mich aber nicht dauerhaft an sie band. Die Freundschaft mit der Leoträgerin brach, Tichy begleitete mich weiter durch mein Leben.

Ganz zu schweigen von den verspielten Plakaten, mit denen Tichy seine frohe Botschaft durch die Stadt trug und die Jahr um Jahr eyecandy zur Gaumenfreude lieferten

Die Familie Tichy, auf eine Art zu meinen Lebensmenschen geworden, richtete Jahr um Jahr neue Attraktionen an: Weinkreationen, Cassata, Jubiläumsbecher, Kalte Seide. Hier speiste ich mit allen Generationen meiner Familie, oft war die Geburtstagstorte meiner Adoleszenz eine von Tichy: am liebsten die wild gemischte, die eine in Eis gegossene Ode an die Diversität sang, ihrer Zeit völlig voraus sogar in den Achtzigern schon. Ganz zu schweigen von den verspielten Plakaten, mit denen Tichy seine frohe Botschaft durch die Stadt trug und die Jahr um Jahr eyecandy zur Gaumenfreude lieferten.

Von all diesen Erinnerungen, süß wie Muttermilch und klebrig wie flüssiges Karamell, wollte ich mich an den ersten warmen Tagen des Jahres erneut zum Sehnsuchtsort der Kindheit tragen lassen, ein wenig schwelgen, melodramatisch ein Tränchen ins Schlagobers fallen lassen. Die Schlange, brav coronatauglich, reichte über die Straße, den Park und die oben erwähnte Straßenbahnstation hinaus. Es war kurz vor sieben. Ich stellte mich an. Rein beruflich. Ein Polizeiwagen fuhr durch den Park und forderte alle auf, auseinander und nach Hause zu gehen. Der Einwand, dass ich, falls ich nach Hause ginge, nicht auseinandergehen könne ohne zuvor viel Eis erworben zu haben, fand kein Gehör vor dem Auge des Gesetzes. Ich trollte mich heim und erwarb labbrige, altölfette Pommes als Übersprungshandlung unterwegs. Ich komme wieder. Der Morgen stirbt nie.

Eissalon Tichy
1100 Wien, Reumannplatz 13
Tel. 01/604 44 46, tichy-eis.at
Geöffnet täglich von 8.30 bis 19 Uhr, derzeit nur Take-away

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