Vielleicht müssen wir gedenken, weil zu wenig gedacht wurde.

Am Vortag beim Sound-Check
Kinder-KURIER-Gespräch mit Jugendlichen, die bei der Gedenkfeier des Parlaments zur Befreiung von Mauthausen sprachen.

„Vielleicht müssen wir heute gedenken, weil damals zu wenig gedacht wurde.“ Mit diesem Satz schloss Hanna Oppolzer (18) ihren literarischen Text im Zeremoniensaal der Hofburg am 4. Mai 2018 ab. Das Parlament hatte diesen Vormittag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus rund um die 73. Wiederkehr der Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen (Oberösterreich) organisiert. Die Gedenkstätte dieses faschistischen KZ-Lagers hatte fünf Jugendliche im Vorfeld eingeladen, sich mit Lebensgeschichten von Menschen zu beschäftigen, die in Mauthausen ermordet wurden bzw. ums Leben gekommen waren. Alle fünf Jugendlichen hatten zuvor schon literarisch geschrieben - einige waren Finalist_innen beim Bewerb texte.wien. Die eingangs zitierte Schülerin aus Baden hatte der Kinder-KURIER schon bei einem Besuch in Mauthausen begleiten dürfen – darüber und deren damaligen Text findest du hier hier

Alle fünf Texte findest du unten jeweils als eigene Beiträge

Gespräch

Am Tag vor der Gedenkveranstaltung traf der (Kinder-)KURIER vier der Redner_innen bei der Gedenkveranstaltung. Hannah Oppolzer, Bernadette Sarman, Andrej Haring und Oliver Wittich sowie Elodie Arpa hatten im April nach einer Führung durch die Gedenkstätte am Tag danach ausgehend von je einer Biographie ihre Texte verfasst. Für Bernadette Sarman war es der erste Besuch des einstigen Konzentrationslagers. „Ich wusste aus dem Geschichtsunterricht die Fakten der NS-Zeit und auch über Mauthausen, aber dann direkt vor Ort zu gehen, zu sehen, zu stehen – das sind doch noch einmal ganz andere Sinneseindrücke. Zu Ida Strohmer, über die ich gelesen und geschrieben habe, hatte ich noch einen indirekten Bezug. Lukas Sainitzer, der ihre Biographie geschrieben hat, ist in unserer Schule Geschichts- und Lateinlehrer.“ Die Gedenkstätte hat die Jugendlichen während ihres Workshops auch gefilmt. Bernadette Sarman durfte/musste dafür auch in die – sonst nicht mehr zu betretende Gaskammer. „Das ist dann nochmal ärger. Du stehst da, siehst die Leitungen und denkst dir – wo bei dir zu Hause das Wasser aus der Dusche kommt, ist hier das Gas rausgeströmt....“

Andrej Haring bei der Probe am Vortag

Andrej Haring bei der Probe am Vortag - im Hintergrund ein Foto von einem Parlamentsbesuch von Kindern im April 1932

Jugendsprache

„Für mich war’s am Anfang nicht ganz so leicht, den Text zu schreiben“, gesteht Andrej Haring (18) und derzeit beim Bundesheer. „Irgendwie gibt es bei diesem Thema ja doch so ein Gefühl, dass es tabubehaftet ist, dass du mit deinen Worten auch ja niemanden verletzen willst, niveauvoll schreiben musst.“ Er hatte sich von Anfang an dafür entschieden, „ich will es in einer heutigen Jugendsprache schreiben“. Deswegen seien ihm die genannten Bedenken gekommen. „Aber es war dann einfach der Respekt“, der zur Richtschnur seines Textes wurde.

Zitat aus Text: „Alfred: Alter, was packst du eigentlich nicht? Das ist ein KZ. Wir sind hier um zu sterben.
Polo: Ein Scheiß wirst du sterben! Du hast deine Liebessonette, du hast deinen Rap...“

Inspiriert zu seinem Dialog wurde er nicht zuletzt von der Lebensgeschichte von Alfred Péron mit der er sich beschäftigte. Er war ein enger Freund von Samuel Beckett. Und so manches Detail deutet drauf hin, dass der Dichter in „Warten auf GodotPéron als Vorbild für die Figur des Lucky genommen hatte.

Elodie Arpa, hier im "SAG#S-MULTI!"-Finale

Elodie Arpa, hier im "SAG#S-MULTI!"-Finale

Freund von Anne Frank

Elodie Arpas Text baut auf der Geschichte von Peter van Pels auf. Er und seine Familie lebten mit der Familie von Anne Frank in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckt – bis sie verraten worden waren. Die Jugendliche machte sich den Allerwelts-Vornamen Peter zunutze und schrieb über einen fiktiven Burschen gleichen Namens, der mit seiner Klasse das ehemalige Konzentrationslager Mauthausen besucht. „Auf der Rückfahrt denkt Peter nach. Ein Ort. Vielleicht ist ein Ort wie ein Mensch, denkt er. Vielleicht ist jeder Ort Heim von Gutem und von Bösem, von schönen und von schrecklichen Momenten. So wie ein jeder von uns und wir als menschen zu beidem in der Lage sind. Peter van Pels und Peter, euer Nachbarsjunge, hätten ein und dieselbe Person sein können. Beide waren und sind schüchtern aber verträumt, still aber nachdenklich. Beide waren und sind verliebt. Nur dass wir Lisas (die Elodie Arpa für die Geschichte erfindet, Anm. d. Red.) Tagebuch nie lesen und Peter van Pels‘ Leben als Erwachsener nie kennenlernen werden. Denn dieser Zukunft wurde er beraubt.“

Persönlichkeit austreiben

Oliver Wittich, der fürchtet, trotz aller Berichte, Gedenkveranstaltungen usw. über den industriellen Massenmord der Nazis könnte sich Ähnliches viel zu leicht wiederholen, baute seinen Text „Mauthausen Transe“ auf der Biographie von Heinrich Habitz auf, der/die sich Liddy Bacroff nannte, als „schwer erziehbar“ tituliert wurde und als „Mann in Frauenkleider“ denunziert und im Jänner 1943 in Mauthausen ermordet wurde. Oliver Witich in seinem Text: „Das KZ ist der Ort schlechthin, um jemandem Persönlichkeit auszutreiben. Hier tragen alle das Gleiche. Alle haben die gleiche Frisur, nämlich keine. Alle haben die gleichen Fetzen an, die gleichen schlechten Schuhe...“

Mehr wissen wollen

Hannah Oppolzer, die schon eingangs mit ihrem Schlusssatz zitiert wurde, befasste sich mit Jožek (Josef) Kokot, einem Kärntner Slowenen, der nur 21 Jahre werden durfte – „und das ist nicht viel älter als ich jetzt bin“, so die Jungautorin, die in ihrem Text mehr über den jungen Mann wissen will: „Ich stehe hier an diesem Ort des einstigen Schreckens und überlege, was er wohl für ein Mensch war.“

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