Die Kochrevolution von Lima

Astrid Gutsche und Gastón Acurio.
Lima gilt als kulinarische Hauptstadt Lateinamerikas. Auch wegen des großen Erfolges eines Peruaners und einer gebürtigen Deutschen. Koch zu werden, ist in Peru inzwischen eine Prestigefrage. Astrid Gutsche und Gastón Acurio setzen vor allem auf Nachwuchs aus Armenvierteln.

Eigentlich wollte Astrid Gutsche nur ein Restaurant in Perus Hauptstadt Lima eröffnen. Jetzt hat sie Probleme, die Frage nach der Zahl ihrer Restaurants rund um den Globus zu beantworten. "Ich will es gar nicht wissen, das stresst mich." Ihr Name und der ihres Partners Gastón Acurio stehen inzwischen als Synonym für eine kulinarische Aufstiegsgeschichte – und einen ganz neuen Stolz in Peru. Die Küche lockt hunderttausende Touristen nach Lima – und Astrid und Gastón haben eine Mission, sie rekrutieren den Kochnachwuchs aus Armen- und Elendsvierteln.

Die Kochrevolution von Lima
Treffen mit Astrid im Tanta, einer Bistro-Kette der beiden mit der SpezialitätCeviche: roher Fisch in Limettensaft, mit Chili, Süßkartoffeln und geröstetem Mais. Ein Gedicht – auch in Metropolen wie Berlin eröffnen immer mehr "Cevicherías." In Hamburg geboren, hatte sie schon als Kind eine Vorliebe für Peru. "Mein Kinderzimmer war bereits eine kleine Indio-Höhle." Sie trug Ponchos, hörte die Anden-Musik, später siedelte die Familie nach Paris über. Sie wollte Köchin oder Tänzerin werden.

Es wurde Ersteres, an der renommierten Kochschule Cordon Bleu in Paris lernte sie Gastón kennen. "Ich wusste nicht, dass er Peruaner ist." Das erste Restaurant eröffnen sie 1994: Astrid & Gastón. Allein in Lima betreiben sie heute 20 Restaurants, darunter neben einigen Tanta-Fillialen auch die Kette Madame Tusan, die die chinesische und peruanische Küche kombiniert.

Die Nummer 30 der Welt

Die Kochrevolution von Lima
epa04084526 Guests attend the opening of the new Astrid and Gaston restaurant by Peruvian chef Gaston Acurio, one of the most important chefs in Latin America according to British magazine Restaurant, in Casa Moreyra, an exclusive area of San Isidro in Lima, Peru, 17 February 2014. EPA/Paolo Aguilar
Weltweit kommen weitere 27 Restaurants hinzu, von Miami bis Madrid. Die 45-Jährige hat sich inzwischen auf die Desserts spezialisiert. Bei den lateinamerikanischen Koch-Awards wurde sie zur besten Dessert-Chefin gewählt. Um den besten Kakao für ihre Schokoladenpralinen zu finden, ist sie bis zu drei Tage zu Plantagen im Amazonasgebiet unterwegs. Lima hat sich zu einem der spannendsten kulinarischen Orte entwickelt – dasCentral von Koch Virgilio Martínez wurde gerade wieder zum besten Restaurant Lateinamerikas gewählt – Astrid & Gastón lag auf Platz 7(Platz 30 der Welt).

Während Astrid Gutsche erzählt, schreibt sie Nachrichten an Gastón und schickt Selfies mit rausgestreckter Zunge. Und dann erzählt sie von ihrer besonderen Mission. Sie haben auch Indígenas als Küchenchefs und laden schon einmal deren ganze Familien zum Essen in einem Restaurant ein. Einmal beschwerte sich ein Pärchen aus reichem Hause: "Das Essen war sehr fein, aber warum haben sie solche Gäste?" Astrid Gutsche geigte ihnen die Meinung. "Historisch gibt es eine große Rassentrennung."

Und sie erzählt mit fast kindlicher Freude von der Kochschule Pachacútec, 40 Kilometer außerhalb von Lima. Die Fahrt geht vorbei an einer riesigen Raffinerie, über staubige Pisten, durch arme Viertel mit Hütten und Häusern aus Lehmziegeln. Es geht durch ein kleines Tor, eine weitläufige Anlage, errichtet von der Kirche, mehrere Schulgebäude. Blick auf den blauen Pazifik. Plötzlich steht da mitten im sandigen Nichts ein alter Schiffscontainer. Eine Seite mit einer hydraulischen Klappe versehen – drinnen stehen Regale mit hunderten Kochbüchern. Die Bibliothek der Kochschule. Die Köche von Astrid und Gastón fahren immer hierhin hinaus, um Unterricht zu geben.

Kosten für Kochschule: 32,50 Euro im Monat

Die Kochrevolution von Lima
epa04084525 Guests attend the opening of the new Astrid and Gaston restaurant by Peruvian chef Gaston Acurio, one of the most important chefs in Latin America according to British magazine Restaurant, in Casa Moreyra, an exclusive area of San Isidro in Lima, Peru, 17 February 2014. EPA/Paolo Aguilar
Die Auszubildenden dieser Kochschule zahlen nur 120 Soles (32,50 Euro) im Monat, die Lebensmittel werden von einer Supermarktkette gespendet. "Das ist eine Zone extremer Armut", sagt Schulleiterin Karina Montes Bravo.
Über 20 Absolventen arbeiten heute in einem der Restaurants von Astrid und Gastón, einer hat es sogar zum Küchenchef im La Panchita in Lima gebracht. Mehr als 90 Prozent fänden danach eine Arbeit, sagt Bravo. Zehn Absolventen arbeiten in Hotels in Dubai.
Die Kochrevolution von Lima
Women prepare food to sell to neighbors at a kitchen in 'Villa Esperanza', a shanty town in Carabayllo, on the outskirts of Lima, Peru, October 27, 2016. REUTERS/Mariana Bazo
In der Küche sind an diesem Dezembertag 18 junge Leute, ihre Familien beglücken sie dank der Ausbildung regelmäßig mit Festmenüs. Auch Kellner und Sommeliers werden hier ausgebildet. In der von Astrid und Gastón ideell und finanziell unterstützten Kochschule werden auch Ernährungswissenschaften, Mathematik, Statistik und Englisch gelehrt. "Die Gastronomie wird hier als soziale Waffe genutzt", sagt Bravo stolz. Kochen als Aufstiegschance.

Bei der Frage, wer nach der Ausbildung ins Ausland will, gehen alle Finger hoch. Aber nur, um noch mehr zu lernen. Danach ist für viele die Heimat Peru wieder das Ziel. Kunstvoll balanciert Yván Salguero (23) ein fein geschnittenes, in Sojasause mariniertes Rinderfilet in der Pfanne, flambiert es. Für ein Lomo Saltado, noch so ein Nationalgericht, gebraten mit Zwiebeln, Paradeisern und Chilischoten.

Chinesische und japanische Einflüsse: Das Sushi der Anden

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Fruits and vegetables are displayed for sale at a stand at a market in Lima's Surquillo district , February 25, 2015. REUTERS/ Mariana Bazo (PERU - Tags: FOOD SOCIETY)
"Unser Essen ist eine Kombination so vieler Kulturen", sagt er. Er hat schon der Oma beim Kochen über die Schulter geschaut, eine normale Kochausbildung könnte er sich nie leisten. Einige sind jeden Tag drei Stunden hin und drei Stunden zurück unterwegs, stehen um vier Uhr auf. Salgueros Traum: ImCeller de Can Rocaim spanischen Girona arbeiten, drei Michelin-Sterne. Hinter der Küche gibt es einen Kräuter- und Gemüsegarten: selteneChili-Arten, Zitronenmelisse, Minze für Schokoladendesserts, Weinraute. Ein Fest der Gerüche.
Astrid Gutsche erzählt, dass sie jedes Mal Tränen in den Augen hat, wenn sie hier draußen ist. Glückliche Gesichter, so viel Ehrgeiz und Lernbereitschaft. Tagsüber ist sie im Tanta, sie hat auch eine eigene Schokoladen-Kollektion, abends ist sie im Stammhaus Astrid & Gastón, im Bett nicht vor zwei, drei Uhr. Morgens geht sie zur Entspannung tanzen.
Sie fasziniert, dass die Küche der Spiegel der vielen Einwanderer ist. Chinesische, japanische Einflüsse spielen eine starke Rolle – Ceviche ist eine peruanische Variante von Sushi. "Und alles mögliche wächst hier, wir haben alle Vegetationszonen." Im Restaurant Central von Virgilio Martínez werden Menüs gereicht, die sich an der Höhe orientieren, auf den Tisch kommt, was dort wächst. So gibt es beim 3900-Meter-Menü weiße Kartoffeln, die nur in den Anden wachsen.

Gutsche legt Wert darauf, den Angestellten auch zu vermitteln, dass der viele Fisch nur aus umweltschonender Fischerei kommen soll, dass man mit kleinen Märkten zusammenarbeitet. Alle Angestellten bekommen beim Essen 50 Prozent Rabatt. "Früher hat man die ganzen Schätze, diesen Reichtum an Zutaten, nicht so gehoben", erzählt sie. Wenngleich sie selbst weiterhin eine große Schwäche für Gummibärchen hat. Das Kochen breche gerade in Peru soziale Barrieren. "Es hat sich ein großer nationaler Stolz auf die Küche entwickelt, fantastisch."

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